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Barbara Sukowa in Berlin.

© Mike Wolff

Schauspielerin Barbara Sukowa wird 70: „Ich hätte mir mit 15 die Nase machen lassen“

Früher verbrannte sie BHs, heute träumt sie vom Dirndl. Barbara Sukowa über Konkurrenz im Kindergarten und Fußfotos auf Instagram. Ein Interview.

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Barbara Sukowa gehört zu den bekanntesten Charakterdarstellerinnen des deutschen Kinos. Nach einer Theaterkarriere wurde sie 1978 mit Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ berühmt, für ihre Rosa Luxemburg im gleichnamigen Film von Margarethe von Trotta bekam sie 1985 den Preis als beste Darstellerin in Cannes.

Sukowa dreht nicht viele Filme, sie sucht sich ihre Stoffe aus, nun also eine Komödie: „Enkel für Anfänger“. Die startet am kommenden Donnerstag, Maren Kroymann und Heiner Lauterbach spielen neben ihr Rentner auf der Suche nach Lebenssinn.

Zum ersten Mal sei ihr so eine humorvolle Rolle angeboten worden, erzählt Sukowa beim Gespräch. Sie ist ausgeschlafen, das betont sie, endlich, am fünften Tag in Berlin hat sich der Jetlag verflüchtigt.

Seit 25 Jahren lebt die Künstlerin in New York. „Können Sie den Vorhang zuziehen? Ich möchte Sie gern sehen“, fragt sie, als die Sonne vom Bebelplatz in die Bar hineinscheint.

„Ich hab jetzt mein Telefon nicht abgestellt, ach egal.“ Es könnte ja einer ihrer drei Söhne anrufen, 25, 31 und 40 Jahre sind sie alt, alle von unterschiedlichen Männern.

Frau Sukowa, an diesem Sonntag werden Sie 70. Was wünschen Sie sich für Ihr Leben?
Freiheit. Ich will freier werden. Ich nehme oft zu viel Rücksicht auf die Meinung anderer. Für andere konnte ich mich immer gut einsetzen, nur nicht für mich. Das lerne ich so langsam.

Und was wünschen Sie sich für den Tag?
Ich lade Freunde auf eine Party in Brooklyn ein, meine drei Söhne kommen auch. Allerdings nicht zu uns nach Hause, wir haben gerade eine Riesenüberflutung. Wir feiern in einem Hotel. Mein mittlerer Sohn wird was singen, einige Musikerfreunde haben eine Playlist zusammengestellt – hoffentlich mit ein paar Wiener Walzern.

Sie sind 1993 in die USA gezogen. Vor lauter Heimweh überkam Sie kürzlich der Wunsch, ein Dirndl zu tragen. Könnte man Ihnen damit eine Freude machen?
Gerade gestern war ich bei meiner Freundin, der Schauspielerin Lena Stolze, deren Tochter hat einen ganzen Korb voller Dirndl. Vielleicht kaufe ich ihr eines ab. Es muss ein richtiges Bauerndirndl sein, ein praktisches für Werktage, guter Stoff, dunkle Farben. Nicht so was Aufgeschnatztes mit Dekolleté, wie es die Leute auf dem Oktoberfest tragen. Nur weiß ich nicht, wie meine Familie reagiert, wenn ich im Dirndl auftauche.

Sie kommen aus Bremen – ein anderer Kulturkreis.
Das ist oft so, dass plötzlich Dinge aus der Heimat wichtig werden, wenn Sie im Ausland wohnen. Ich bin seit fünf Tagen in Berlin und habe jeden Tag Apfelkuchen mit Schlagsahne gegessen! Die Ausgewanderten sind ja häufig die größten Verfechter der Traditionen. Ein Weihnachtsbaum mit echten Kerzen ist in Amerika nicht erlaubt. Meiner hat natürlich dennoch welche.

Können Sie sich überhaupt gut beschenken lassen?
Schon. Aber Komplimente anzunehmen, das habe ich erst in den USA gelernt! Anfangs fand ich das komisch, dass jemand mein Aussehen kommentierte: Du hast ja ein tolles Kleid an! Da habe ich geantwortet: Ach, das war ganz billig! Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Ein „Thank you“ macht alles viel einfacher.

Das ist mir auch Ende der 70er aufgefallen, als mein erster Sohn geboren wurde und die antiautoritäre Erziehung im Gange war. Viele Eltern haben ihren Kindern nicht beigebracht, Danke oder Bitte zu sagen. Die waren ganz verzagt, wenn man ihnen was gab, wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Es ist doch leichter, wenn man sich bedanken darf. Das habe ich meinen drei Söhnen so beigebracht. Genau wie ein paar andere europäische Umgangsformen: Sie nehmen mir die schwere Tasche ab und tragen zum Essen kein Basecap.

Sukowa (links) mit ihren Kollegen Heiner Lauterbach und Maren Kroymann, die auch in "Enkel für Anfänger" mitspielen.
Sukowa (links) mit ihren Kollegen Heiner Lauterbach und Maren Kroymann, die auch in "Enkel für Anfänger" mitspielen.

© Imago

Sie nannten sich selbst mal die „Zuchtmeisterin der Familie“. In Ihrem neuen Film „Enkel für Anfänger“ spielen Sie eine Hippie-Oma, bei der die Kleinen alles dürfen. Erlauben Sie Ihrer sechsjährigen Enkelin jetzt, was Sie Ihren Söhnen verwehrten?
Meine Enkelin soll nicht zu viel am iPad oder Handy hocken. Da achten die Eltern drauf. Bei mir darf sie allerdings viele lustige Apps spielen.

Pädagogisch wertvolle?
Eher nicht. „Pretty Pet Salon“, da macht man kleinen Hunden Schleifen in die Haare und wäscht sie. Als meine Kinder klein waren, hätte ich das nie erlaubt, aber sie sieht mich ja nicht so oft.

Früher haben Sie sich gewünscht, mal Barbies zu verschenken und nicht nur „Brummbrumm“ für die Söhne. Leben Sie das nun aus?
Oh, sie kriegt die kitschigsten Kleider von mir. Ich habe ihr eine Ballettausrüstung gekauft, da war sie kaum vier Wochen alt. Die Mütter ziehen ihren Kindern heute ja lieber gedeckte Farben an. Ich bin eisern mit Rosa und Blumen. In Amerika gibt es diese schrecklichen Schönheitswettbewerbe, wo schon die Kleinsten aufgedonnert werden.

Die Kleider dafür sehen aus wie Torten. So eines habe ich ihr geschenkt. Sie liebt es natürlich. Auf der Weihnachtsfeier im Kindergarten trug sie als Einzige ein Tüllkleid mit Glitzer und Einhörnern – und ich bin schuld!

Kein schlechtes Gewissen, dass Sie die Errungenschaften des Feminismus mit einem Kleid zunichtemachen?
Überhaupt nicht! Denn ich habe damit meinen eigenen Frust vollkommen eliminiert.

Sie selbst waren 68erin, haben demonstriert, ihre BHs verbrannt und einmal gesagt: „Wir waren eine privilegierte Generation, wir hatten den Luxus, melancholisch, kritisch und nachdenklich sein zu dürfen.“ War das Ihren Söhnen auch vergönnt?
Meine Kinder sind natürlich durch unsere Gehaltsstufe privilegiert. Aber sie bekommen auch ihre Umwelt mit. Diesen stark ausgeprägten Wettbewerb in Amerika. Das geht schon in der Schule los: Wer kriegt die Medaille, die Urkunde? Ich habe gesehen, wie schwer das für Eltern ist, deren Kinder keine Sportskanonen waren.

In New York müssen Vierjährige inzwischen für Kindergartenplätze vorsprechen. Ich kenne Familien, die haben drei Absagen bekommen. Da impft man den Kindern natürlich von Anfang an ein, sich anzupassen. Rebellisch zu sein, ist gefährlich, weil man damit nicht weiterkommt.

In den 70ern haben Sie sich auch gegen Hierarchien am Theater aufgelehnt, man nannte Sie die „rote Barbara“. Waren Ihre Söhne denn rebellisch?
Mein mittlerer Sohn war sehr gut in der Schule, der hätte auf jede Uni gehen können und wollte nicht. Ich habe ihn zum College gezwungen. Er gehörte dort zu den obersten fünf Prozent, hat aber hingeschmissen, ohne dass ich es mitbekommen habe. Der wollte Musik machen, das war seine Form von Rebellion.

Sie leben in New York. Auf Ihrem Instagramkanal sieht man, dass Sie Menschen in der Subway fotografieren, allerdings nur ihre Beine und Füße. Sind Sie Fußfetischistin?
Nein! Aber in Filmen sieht man ja immer mehr das Gesicht, besonders seit auch welche extra fürs iPhone gemacht werden. Dabei erzählen doch die Beine so viel über eine Figur.

Die Fußhaltung, zum Beispiel bei Kindern, so verlegen, verknotet oder eben ob jemand sich selbstsicher in die Erde pflanzt. Ich fotografiere den lässigen Typen in Sneakers und die orthodoxe Frau, deren Kleid über die Knöchel ragt.

Was bedeutet Ihnen der Ort?
Ich fahre ungern Taxi, bin nicht gern allein mit einem Unbekannten. In der U-Bahn beobachte ich die Menschen. Mein Mann sagt immer: Starr die Leute nicht so an, du kriegst noch mal einen auf die Nase. Oft spreche ich sie sogar an. Die jungen Leute gehen auf Tinder, um jemanden kennenzulernen. Dabei müssen sie ihn einfach in der Subway anquatschen.

Ich erfahre die interessantesten Geschichten, neulich hat mir ein Algerier seine ganze Scheidungsstory erzählt. Ein anderes Mal sprach mich ein cooler junger Schwarzer an, der wissen wollte, woher ich meine Schuhe hätte. Ich hatte die in Deutschland gekauft, die Marke ganz vergessen. Da habe ich die Schuhe in der U-Bahn ausgezogen und nachgeguckt.

Apropos vergessen: Sie bezeichnen sich selbst als schusselig. Ist das immer noch so?
Ich bemühe mich wirklich sehr, aber ich verlege und vergesse alles. Gestern hat mir ein netter Mann zehn Dollar hinterhergetragen, die mir aus der Jackentasche gefallen waren. Als Mutter habe ich deswegen meinen Söhnen nie auch nur einen Schnuller angeboten, ich wusste, in meiner Vergesslichkeit lasse ich den irgendwo liegen. Margarethe von Trotta ...

... mit der Sie bereits sieben Filme gedreht haben, von „Rosa Luxemburg“ bis „Hannah Arendt“ ...
... machte sich immer lustig, dass ich mein Drehbuch vergaß und jemand mir das aus dem Hotel nachtragen musste.

Termine haben Sie jedoch nie verpasst. Wie das?
Ich bin nicht gut im Planen. Leute fragen mich oft, was für eine Rolle ich mir künftig wünsche. Ich kann mir Zukunft nur schwer vorstellen. Sie wird eh nie das, was man denkt. Und diese Termine sind immer so was Geplantes, das stresst mich. Ich gucke zehnmal nach, wann ich eine Verabredung habe. Das ist eine Form von Höflichkeit, dass ich pünktlich bin, dem anderen keine Lebenszeit stehle. Inzwischen bin ich jedoch nicht mehr so streng mit Menschen, die mich warten lassen.

Ihren Mann, den Multimedia-Künstler Robert Longo, hätten Sie fast nicht näher kennengelernt, weil er beim zweiten Date nicht pünktlich kam.
Ich habe gesagt: Danke, das war’s. Wenn das schon so losgeht. Mein Babysitter brachte mich zur Vernunft, das kannst du doch nicht machen!

In Italien könnten Sie nicht leben.
Ich habe gerade mit einem italienischen Regisseur einen französischen Film gedreht. Auf der Promotion-Reise sagte er im Hotel, wir treffen uns um halb zehn in der Lobby. Ich fragte gleich: Meinst du damit 9.45 Uhr? Und neulich war ich auf einer Babyshower in New York, bei einem Paar aus der Karibik. Da stand auf der Einladung 17 Uhr.

Ich bin natürlich um fünf hin. Der Raum wurde noch dekoriert, irgendwelche Leute brachten Essen, eine halbe Stunde später kam erst der nächste Gast. Ich dachte, ich hätte mich verguckt. Dann sagte die Gastgeberin: That’s Caribbean time. Wenn da um fünf steht, sind die um acht hier.

Sie sind damals allein mit Ihren kleinen Kindern in die USA gegangen, haben die Karriere in Deutschland abgebrochen, um sich in Amerika auszuprobieren. Was hat Ihnen die Sicherheit gegeben?
Ich kann Veränderung ganz gut. Wenn ich eine Rolle nicht bekam, war immer noch die Familie da. Mit drei Kindern zu Hause war ich nicht in der Lage sechs Wochen in Deutschland zu drehen.

Ich habe in Frankreich Schauspielerinnen getroffen, die haben sich nach ihrem Beruf gesehnt, als das Kind erst einen Monat alt war. Ich habe lange Pausen gemacht. Die wenigen Rollen, die ich gespielt habe, haben mich immer Überwindung gekostet. Selbst Margarethe von Trotta musste mir oft zureden.

Sie haben einen hohen Anspruch an sich. Für Hannah Arendt haben Sie wochenlang zu Hause Englisch mit hartem deutschem Akzent geübt und einen Studenten engagiert, um Heidegger zu verstehen ...
... ist mir aber bis heute nicht gelungen.

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Sind Sie im Alter gelassener geworden?
Nein – das ist auch der Spaß an der Arbeit. Ich habe gern diese Rollen, bei denen ich etwas über die Zeit lerne. Ich wäre ja blöd, wenn ich die Gelegenheit nicht nutzen würde. Eher langweilt es mich, wenn eine Rolle rein psychologisch ist und ich in mir selber rumkramen muss.

Hanna Schygulla, die wie Sie viel mit Fassbinder gedreht hat, sagte 2006 bereits, sie sei nicht mehr filmogen: „Die Augen werden kleiner, der Mund wird schmaler, ich wiege zehn Kilogramm mehr.“ Männer müssen sich darum nicht sorgen, oder?
Wenn sie immer das Liebesobjekt spielen wollen, dann schon. Robert Redford macht sich sicher Gedanken, wie er aussieht. Auch Männer fangen an, sich die Tränensäcke wegoperieren zu lassen, die Haare zu färben. Für Charakterschauspieler ist es egal, ob die Haare dünner werden oder der Mund schmaler.

Ich habe gerade diesen französischen Film über zwei alte lesbische Damen gedreht. Als er fertig war, habe ich gedacht, wer soll sich das angucken? Man sieht unsere Falten, das Doppelkinn. Trotzdem hat der Film in Montpellier den Preis der Studentenjury bekommen.

Vielleicht hat man sich sattgesehen an diesen immer gleichen, operierten Gesichtern.
Ich bin überzeugt davon, dass es wieder eine Gegenbewegung geben wird, dass die Leute individuelle Gesichter sehen wollen, die gut gealtert sind. Ich habe ernsthaft Schwierigkeiten, diese jungen Hollywood-Schauspielerinnen auseinanderzuhalten. Aber ganz ehrlich: Hätte es Schönheits-OPs damals gegeben, ich hätte mir mit 15 die Stupsnase machen lassen.

Ausgerechnet Sie?
Ja, ich habe mir damals mit einer Freundin vor dem Spiegel sogar die Nasenflügel abgeklebt. Man ist in diesem Alter so leicht zu verunsichern. Selbst Jahre später, 1981, während des Drehs von Fassbinders „Lola“, schaute ich mir meine Oberschenkel in Strapsen an und fand die zu dick. Heute denke ich, die sahen doch toll aus. Und mit 90 werde ich auf mich als 70-Jährige blicken und mich wunderschön finden.

Wurde Ihnen am Set je eine Operation nahegelegt?
Bei „Berlin Alexanderplatz“ sagte tatsächlich jemand, ich hätte ja schön gesungen, aber ob ich nicht was mit meiner Nase machen wolle, die sei ja ein bisschen prominent. Und eine Maskenbildnerin riet mir neulich: „Du hast so wenige Falten für dein Alter, mach doch mal was wegen deines Halses.“ Vor längerer Zeit sprach ich mit meiner britischen Kollegin Vanessa Redgrave. Sie hatte damals die Idee, sich liften zu lassen. Ich habe gesagt, um Gottes willen, tu das bloß nicht – und sie hat es nicht getan. Zum Glück!

Welches alte Gesicht hat Sie zuletzt beeindruckt?
Ich war kürzlich im Himalaya, in Ladakh. Ich engagiere mich mit einer Freundin aus Singapur für eine Charity, zu zehnt sind wir mit einer mobilen Augenklinik in abgelegene Dörfer gefahren. Die Bauern haben oft grauen Star, weil sie so nahe an der Sonne arbeiten. Da habe ich Gesichter von alten Frauen gesehen! Wie ein gefurchtes Feld. Unheimlich schön.

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