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Kultur: galerie o zwei: Kunst macht reich

Der Künstler J. S.

Der Künstler J. S. G. Boggs hat einen Koffer voller Geld mitgebracht. Der klafft nun offen und thront wie ein Schrein in der Galerie o zwei. Der Tanz ums Goldene Kalb kann beginnen: Boggs wird einen Monat lang mit Banknoten handeln, deren Wert sich verzehnfachen soll. Seine Aktionen handeln von den Absurditäten des Geldwesens insgesamt und des Kunstmarkts im Speziellen. Denn die Scheine sind nicht echt. Boggs druckt seine eigenen Währungen, auf seinen Banknoten steht "1 Million Euro", "5000 Dollar" oder "100 Boggs Marks". Die Galerie dient ihm als Operationsbasis. Ihre Dielen strahlen im gleichen Orange wie seine Jacke, sein Schlafsack und jene Plastikdollar, die er auf den Boden geschüttet hat. Wohnen, Geld drucken, ausstellen, alles geschieht unter einem Dach. Für Boggs ist diese Kombination durchaus plausibel. Eine Banknote mit Porträt und Ornament könnte auch Kunst sein, meint der 44-jährige, der umgekehrt seine Kunststücke, hergestellt mit Zeichenstift, Druckmaschine und Computer, als Zahlungsmittel verwendet. Vorausgesetzt, er findet Gewerbetreibende, die sie akzeptieren, und zwar in Höhe des Wertes, der auf dem Schein steht. Die also auch Wechselgeld und Quittung herausgeben. Auf diesen wiederum notiert Boggs die Seriennummer des Scheins, mit dem er bezahlt hat; er signiert und rahmt sie, und stellt sie dann zum Zehnfachen ihres offiziellen Werts zum Verkauf. Hat er eine Taxirechnung über 15 Mark mit 100 "Boggs Marks" beglichen, kosten die 85 Mark Wechselgeld somit 850 Mark. Für einen Beleg des Prater-Restaurants über 486,90 Mark verlangt er 4869 Mark. Sammler können außerdem versuchen, mit Hilfe der Quittung den Besitzer der Kunstnote zu finden und ihm diese abzukaufen. Boggs Aktionen handeln von der Zirkulation der Waren. Mitunter landet ein komplettes Ensemble in einem Museum - etwa als Installation mit Restauranttisch, die dann 120 000 echte Dollar wert sein kann. Wenngleich sich die Definitionen dessen, was echt ist und was nicht, was Kunst ist und was Geld, bis dahin längst verwirrt haben. Siebzehn Jahre solchen Handels haben Boggs nicht nur museale Weihen, sondern auch Ärger mit Gerichten eingehandelt. Seine Anwälte, sagt er, bezahlt er in eigener Währung. Doch ganz kann auch Boggs die Lücke zwischen Kunst und Leben nicht schließen. Er stellt kein Falschgeld her - seine Banknoten sind immer als Variation ihrer Vorbilder zu erkennen. Vor allem aber wären seine Transaktionen ohne die konventionellen Grenzen von Kunst und Nichtkunst nur halb so spektakulär. Zur Frage, wie Kunst mit Geld überhaupt zu bewerten sei, gesellt sich der Schreck - oder die Freude - darüber, dass angeblich transzendente Kunst und angeblich profanes Geld austauschbar werden und beide bloß Mythen sein könnten. Wenn Kunst Geld ist, kann alles Geld sein. Warum also nicht sein eigenes erfinden, die Europäische Union macht es ja gerade vor. Im geschützten Kunstraum probt Boggs die Subversion. Der Rest ist der Spekulation williger Sammler überlassen.

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