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Gallery Weekend: Die Ego-Shooter und der weiße Wal

Robert Longo, Martin Boyce und Katharina Grosse: Momentaufnahmen vom Berliner Gallery Weekend.

Gleich im Eingang zur Capitain-Petzel-Galerie setzt eine großformatige Zeichnung das Thema. Ein amerikanischer Soldat läuft bei dramatischen Lichtverhältnissen eine irakische Straße entlang. „Ursprünglich war er kräftiger gebaut“, sagt Robert Longo, der unter dem Titel „Stand“ in der Karl-Marx-Allee (bis 17. Juni) mit einer Vielzahl von Kohlearbeiten seine erste Berliner Einzelausstellung präsentiert. Er hat ihn dann aber dem Ego-Shooter-Spiel „Call of Duty“ angepasst. Gegenüber eine nicht minder fotorealistische Zeichnung mit Occupy-Wall-Street-Demonstranten. Zwei Welten, ein Amerika. „E Pluribus Unum“, wie es im Siegel der USA heißt.

Die Fenster sind von innen über zwei Geschosse hinweg mit einer schwarz-weißen Star-Spangled-Banner-Folie beklebt. „Stirbt ein US-Soldat“, sagt der New Yorker, „erhält die Familie ein Kästchen mit dieser Flagge unter Glas.“ Er selbst sieht sich indes weniger als politisch polarisierender denn als erzählender Künstler. Darauf verweist der Spiegel über dem Eingang. Er zitiert den ersten Satz aus Herman Melvilles Roman „Moby Dick“: „Call me Ishmael.“ Das Buch über die rachsüchtige Jagd von Captain Ahab auf einen weißen Pottwal, der ihm ein Bein abgerissen hat, inspirierte Longo zu diesem Projekt, an dem er seit 2008 arbeitet. „Ich folge Nathaniel Philbrick, der in ,Moby Dick‘ den ,genetischen Code‘ der USA sieht.“

Bei der Eröffnungsperformance tragen rund 40 schwarz gekleidete Personen gleichzeitig in kurzen Textblöcken Romanpassagen vor. Für Longo spiegeln sich in „Moby Dick“ auch die Sklaventransporte, auf denen bis weit ins 19. Jahrhundert Westafrikaner, dicht an dicht unter Deck gepfercht, den Atlantik in wochenlanger Fahrt überquerten.

Dass nach George W. Bush jemand mit afroamerikanischem Hintergrund Präsident wurde, erscheint Longo daher „als Signal schlechthin, die Reputation der USA in der Welt zu reparieren.“ Die Rechnung ging, wie er selbst am besten weiß, nicht auf. Longos Obama-Porträt zeigt den visionär nach oben blickenden US-Präsidenten – allerdings nach unten hin verblassend: „Dabei dachte ich auch an Stuart Gilbert, der Ende des 18. Jahrhunderts George Washington in einem unvollständig gebliebenen Bild porträtierte. Es wurde immerhin zum Motiv auf der Eindollarnote.“ Die Obama-Zeichnung ist Teil einer Installation, die als Hommage an den deutschen Künstler Hans Haacke konzipiert ist. Der hatte sich 1982 auf der documenta 7 mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dessen Bekenntnis zum Nato-Doppelbeschluss auseinandergesetzt. Während Haacke dem Republikaner Reagan Pazifisten eine Bonner Demonstration gegenüberstellte, ist der Demokrat Obama bei Longo mit einer streng blickenden Gruppe von Tea-Party-Mitgliedern konfrontiert. „Ich habe mich lange gefragt, warum ich diese Ausstellung ausgerechnet in Deutschland zeigen soll“, sagt er, „aber ein Freund in New York hat mich daran erinnert, dass Anselm Kiefer in die USA doch auch deutsche Themen mitbringt.“

Im Galeriekeller ergänzt eine stark verlangsamte und auf grobkörniges Schwarz-Weiß umkopierte Version von John Hustons „Moby Dick“-Verfilmung mit Gregory Peck Longos Arbeiten im Erdgeschoss. Und im zweiten Stock findet man kleinformatige Kohlezeichnungen, die ein ganzes Panoptikum amerikanischer Helden entwerfen, vom Cowboy über den Baseballspieler bis zum Astronauten. Dabei fehlen auch nicht Michael Jackson und Jimi Hendrix, der 1969 in Woodstock, zur Zeit des Vietnamkriegs, die US-Nationalhymne in Rückkopplungen zersplittern ließ. Thomas Kuhn
Möbelgespräche im Grill Royal

„Great“, ruft der Amerikaner und legt seine Karte auf den Galerie-Tresen. Ober er das ganze Interieur meint, das Martin Boyce bei Johnen inszeniert hat? Die Lampions aus perforiertem Metall, den mächtigen Tisch mit Beinen aus Beton und die Arbeitsleuchten mit ihren messerscharfen Lamellen? Man spürt, dass der schottische Künstler und Turner-Preisträger von 2011 die Möbelikonen vergangener Jahrzehnte zitiert. Bloß sind sie ohne das passende Wissen nicht zu entschlüsseln. Darüber ließ sich Freitagabend prima im Grill Royal parlieren. Obwohl das Steakhaus dank Pauly Saal in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule inzwischen mit sich selbst konkurriert, ist es weiter eine verlässliche Größe während des Gallery Weekend. Gleich drei Galerien veranstalteten hier parallel ihre Eröffnungsdinners. Die Gespräche waren so disparat wie die Themen der Ausstellungen: Tätowierungen, Architektur oder Möbel. Genauer: Kunst, die ein Möbeldasein vorgibt. Vielleicht hat sich der enthusiastische Boyce-Fan ja noch an diesem Abend entschieden. Oder Sammler gefunden, mit denen er die Einrichtung teilen kann. cmx

Farbnebel in der Galerie Johann König

Bild, Teppich, Sofa – das sind noch die klarsten Elemente der Assemblage, die Katharina Grosse in der Galerie Johann König eingerichtet hat. Ein Wohnraum? Ein Weltenraum. Grosse hat alles mit einem Farbnebel überdeckt und hinter dem Sofa zwei gigantische Styroporteile wie Meteoriten platziert. Darf man den Teppich betreten und sich setzen? Die Besucher umkreisen vorsichtig die Installation mit dem Titel „They Had Taken Things Along To Eat Together“.

Das Bild ufert aus, umgekehrt wird alles Bestandteil der Malerei. Grosses erste Ausstellung bei König, überhaupt ihre erste Galerieausstellung in Berlin – nach dem Auftritt 2009 in der Temporären Kunsthalle – ist ein Bekenntnis zur Stadt und einem der interessantesten Galeristen. Schon stellt man sich vor, welchen Auftritt die Künstlerin im Betonkubus der ehemaligen St.-Agnes-Kirche haben könnte, wenn König & Co. im nächsten Jahr dahin umgezogen sein werden. Der preisgekrönte Bau der Architekten Augustin & Frank auf dem Gelände der ehemaligen Heeresschneiderei in Moabit gibt einen Vorgeschmack: auch hier nüchterne gerade Wände. Die Farbspritzer zeugen vom Kampf der Elemente. NK

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