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Kultur: Ganze Tage in den Bibliotheken

Er kam aus Turin, dieser nördlichen und modernen italienischen Stadt am Rande der Alpen, aus der nicht nur die savoyardischen Könige stammten, sondern auch bedeutende literarische Talente.Giulio Einaudi, Jahrgang 1912, der große alte Mann des italienischen Verlagswesens, war im besten Sinne des Wortes Mitteleuropäer und versuchte, selbst nachdem der Faschismus Mussolinis monolithisch die italienische Politik und Kultur beherrschte, mit liberalen, demokratischen und sozialistisch inspirierten Zeitschriften gegenzusteuern.

Er kam aus Turin, dieser nördlichen und modernen italienischen Stadt am Rande der Alpen, aus der nicht nur die savoyardischen Könige stammten, sondern auch bedeutende literarische Talente.Giulio Einaudi, Jahrgang 1912, der große alte Mann des italienischen Verlagswesens, war im besten Sinne des Wortes Mitteleuropäer und versuchte, selbst nachdem der Faschismus Mussolinis monolithisch die italienische Politik und Kultur beherrschte, mit liberalen, demokratischen und sozialistisch inspirierten Zeitschriften gegenzusteuern.1933 gründete er zusammen mit Leone Ginzburg und Cesare Pavese seinen Verlag, von dem Mussolinis Geheimpolizei schon ein Jahr später wußte, daß er "antifaschistische Publikationen verbreitet und die antifaschistischen Elemente der intellektuellen Welt um sich schart."

Zusammen mit Carlo Levi, Noberto Bobbio, Pavese wurde er deshalb 1935 in die Verbannung geschickt.Während Carlo Levi in einem kalabresischen Dorf die leere Zeit mit der Ausarbeitung seines Romans "Christus kam nur bis Eboli" füllte, der nach dem Krieg zum ersten wirklichen Bestseller Einaudis wurde, fand der Verleger zunächst Gnade vor Mussolini und begann ausländische Autoren zu verlegen - darunter Goethe.Selbst in den schwärzesten Tagen Italiens blieb der Turiner Verlag so etwas wie die geistige Heimat der Intellektuellen, stark geprägt durch das jüdische Turin.Natalia Ginzburg wachte nach dem Krieg als Cheflektorin über die Tradition des Hauses, und auch Elsa Morante war dem Verlag seit ihren Anfängen verbunden.In Ginzburgs "Familienlexikon" finden sich denn auch viele Portraits der "Einaudianer", die in ständigen Diskussionen über Sozialismus, Kommunismus und Europa den geistigen Nährboden für die kulturelle Entwicklung Nachkriegs-Italiens bildeten.So kam es, daß nach dem Krieg viele große Italiener für Einaudi schrieben, von Primo Levi bis zu Italo Calvino.

Geistig ausgehungert vom Mussolini-Regime, rettete Einaudi sich nach 1943 in die Schweiz: "Ganze Tage verbrachte ich in Bibliotheken, las Zeitungen und machte Notizen zu Büchern, von denen man in Italien nichts wußte.Ich korrespondierte oder telephonierte mit Freunden in New York, Paris und London, um die Rechte für Hemingway, Sartre oder Joseph Needham zu sichern", schreibt Giulio Einaudi in seinen "Fragmente der Erinnerung" (Freibeuter 41 + 42, Wagenbach Verlag) über diese Zeit.

Der Verleger, der sich selbst als fanatisch, extremistisch und "eher libertär als liberal" bezeichnete, keinem Streit aus dem Weg, stellte sich ganz hinter die Studentenbewegung von 1968 und brachte 1974 Elsa Morantes "Storia" zum prezzo politico, zum politisch motivierten Selbstkostenpreis, heraus.

Im Nachruf von La Reppublica schreibt Enzo Siciliano: "Die graublauen Augen Giulios konnten in einer Person das jeweils beste entdecken.Er nahm Witterung auf, stellte irritierende Fragen, man mußte ihm ohne Verzögerung antworten.Er ragte durch seine Antirethorik heraus, immer ironisch, provokant, er war ein Liebhaber unbarmherziger Wahrheiten und ein Kind der Intelligenz." Zwar war Giulios Vater Luigi nach dem Krieg Staatspräsident geworden, auf ein Familienvermögen, das größere Sprünge wie beim Verlag Feltrinelli ermöglichte, konnte Einaudi jedoch nicht zurückgreifen.So war er immer von finanziellen Schwierigkeiten gequält, noch 1946 beschwor ihn sein Vater in einem dringlichen Brief aus Rom: "Man darf ein bestimmtes Verhältnis von Kapital und Schulden nicht überschreiten!" Während Giulio selber eingestand: "Etwas hochmütig vieleicht suchten wir den Gesetzen des Marktes nicht zu folgen, sondern ihnen zuvorzukommen." Ein Hochmut, der 1994 zu dem führte, was seine linken Freunde als Sündenfall betrachteten: Er verkaufte den Verlag an die von Berlusconi beherrschte Mondadori-Gruppe, und das zu einer Zeit, als dieser schon offen mit den Neofaschisten von der Alleanza Nazionale paktierte.Letztlich ist einer der großen europäischen Verleger jedoch nicht am politischen Gegner gescheitert, sondern am Markt und an der Leseunlust der Italiener.Am Ostermontag erlag Einaudi in Rom einem Herzinfarkt.

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