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Gottfried Benn 1955 in seiner Berliner Wohnung.

© picture-alliance / IMAGNO/Franz

Gottfried Benn und die Frauen (1): Meister der promiskuitiven Umtriebe

Wolfgang Martynkewicz untersucht in "Tanz auf dem Pulverfass" Gottfried Benns Beziehung zu Frauen und Macht. Er verfestigt das Bild des Opportunisten.

„Ich aber bin, wie gesagt, für Seitensprünge!“: Das ist die Maxime, an die sich der Dichterkönig und professionelle Liebeshochstapler Gottfried Benn zeit seines Lebens gehalten hat. Denn die Eroberung von Frauen war für Benn nicht Ausnahmezustand, sondern Lebenselixier. Seine drei Ehen, die der Meister der promiskuitiven Umtriebe einging, dienten vor allem der Erledigung von Verwaltungsaufgaben und der alltagstechnischen Grundversorgung. Für die erotische Erfüllung waren seine Geliebten zuständig. Die Ehe, so spottete Benn, ist nur „eine Institution zur Lähmung des Geschlechtstriebes also eine christliche Einrichtung“. Die perfekte Logistik seiner Abenteuer ist in zahlreichen Briefbänden und in der Korrespondenz mit dem Brieffreund Friedrich Wilhelm Oelze dokumentiert.

Erstaunlich an all den Eroberungen ist vor allem die Versöhnungsbereitschaft der von ihm instrumentalisierten Musen. Nur zweimal in den 50 Jahren seiner egomanischen Liebeskunst geriet seine Position ins Wanken. Einmal erwischte es den alten Benn, als er, behäbig geworden, im August 1954 auf die ungewohnt widerstandsbereite Kinderbuchautorin Ursula Ziebarth traf, die ihn mit massiven Liebeswünschen unter Druck setzte. Sie ließ sich auch durch Benns Schmeicheleien nicht zur erotischen Teilzeitkraft umfunktionieren. Der Schwerenöter verlor irgendwann den Überblick, seine Devise „Gute Regie ist besser als Treue“ funktionierte nicht mehr.

Der zweite Fall einer libidinösen Eigendynamik vollzog sich in Benns Beziehung zu Thea Sternheim (1883-1971), der zweiten Frau des Dramatikers Carl Sternheim, und deren Tochter Dorothea, genannt Mopsa Sternheim (1905-1954). Mutter und Tochter rivalisierten um die Gunst des sich immer wieder entziehenden Dichters – mit zuletzt ruinösen Folgen für Mopsa.

Mit Thea Sternheim verband Benn eine platonische Freundschaft, die fast vierzig Jahre lang andauerte, obwohl sich Thea, eine bekennende Pazifistin, vor Benns politischem Opportunismus ekelte. Schon bei der ersten Begegnung im Februar 1917, als Benn, der als Militärarzt in einem Brüsseler Prostituiertenkrankenhaus arbeitete, die Sternheims in deren Haus im Vorort La Hulpe besuchte, zeigte sich Thea irritiert über die politische Kälte des Dichters.

Die endgültige Benn-Entzauberung

Diese Begegnung ist der Ausgangspunkt einer neuen Benn-Studie des Literaturwissenschaftlers Wolfgang Martynkewicz, der noch einmal das Thema „Benn, die Frauen und die Macht“ durchbuchstabiert, dabei aber viel weniger Nachsicht übt mit dem politischen Reaktionär Benn als seine Vorgänger, die Benn-Biografen Holger Hof, Helmut Lethen und Joachim Dyck. Martynkewicz hält es eher mit der Benn-Entzauberung Klaus Theweleits, der 1988 in seinem „Buch der Könige“ nachgewiesen hatte, dass am Rande dieses dichterischen Königswegs doch einige Frauenleichen liegen.

Die Fakten zu Benns Erotomanie, sein Appeasement gegenüber den Nazis und sein niederträchtiges Verhalten bei der Neuausrichtung der Preußischen Akademie der Künste nach Hitlers Machtergreifung sind in der Forschung zwar akribisch aufgearbeitet worden. Martynkewicz setzt aber neue Akzente, wenn er (manchmal mit sehr simplen psychoanalytischen Deutungen) den Fokus seiner Darstellung auf das Verhältnis Benns zu Thea und Mopsa Sternheim legt. Das Ergebnis ist eine Studie, die den Nachweis führen will, dass es den angeblichen politischen und ästhetischen Wandel Benns nach 1945, also in der von ihm selbst ausgerufenen „Phase II“, nie gegeben hat.

Seine Liebe, eine Art Gehirnvergiftung

Benn wird als reaktionärer Überzeugungstäter vorgeführt, der sich von 1917 bis zu seinem Tod 1956 in seinem politischen Opportunismus treu geblieben ist. Der Benn des Jahres 1917, der keine Sekunde nach der Ursache des Großen Krieges fragt, sondern nur lapidar betont, dass er „ausgekämpft“ werden müsse, unterscheide sich nicht vom Benn des Jahres 1933, der im Nationalsozialismus den Versuch sieht, „das wankende Abendland zu retten“. Und auch nach seinem glänzenden Comeback veröffentlicht er 1950 in seinem autobiografischen Text „Doppelleben“ noch einmal Textpassagen aus dem Jahr 1934, in denen er sich als „reinblütiger Arier“ bezeichnet.

Martynkewicz breitet die unappetitlichsten Aufsätze und Reden Benns aus den Jahren 1933/34 aus, so etwa „Züchtung“ und „Der deutsche Staat und die Intellektuellen“, um die Kontinuität seines Versagens darzulegen. Das große Rätsel, wieso Thea und Mopsa Sternheim dem sphinxhaften Dichter trotz dessen politischer Unbelehrbarkeit auch nach 1945 verbunden blieben, vermag Martynkewicz indes nicht zu lösen.

Im Gegensatz zu ihrer Mutter verfiel Mopsa Sternheim dem egomanischen Orpheus mit Haut und Haaren. Als Benn die Affäre mit der 20-Jährigen im August 1926 beenden wollte, reagierte sie mit einem Selbstmordversuch. Beide Frauen emigrierten 1932 beziehungsweise 1933. Mopsa Sternheim schloss sich in Paris der Résistance an, wurde von der Gestapo im Dezember 1943 inhaftiert und gefoltert und ein halbes Jahr im Konzentrationslager Ravensbrück interniert.

Thea hatte sich voller Abscheu von Benn abgewandt, als der im April 1933 seine höhnische „Antwort an die literarischen Emigranten“ veröffentlicht hatte. Aber selbst in den Exiljahren ließ sie der Dichterkönig nicht los. Als sie 1949 Benns neue Bücher registriert, erlebt sie das als „eine Art Pfingstwunder“, die „feurigen Zungen, das Aufrauschen, das Brausen, das Erahnen des Schwererfassbaren, das Wortwerden des Unaussprechbaren“.

Erst nach der Veröffentlichung von „Doppelleben“ bricht sie den Kontakt ab. Mopsa, die nach dem Ende ihrer Affäre mit Benn schlimme Jahre der Drogensucht durchlebte, riskiert 1952 noch einmal ein Wiedersehen . In einem Brief an eine Freundin beschreibt sie danach das Dilemma all jener Benn-Bewunderer, die je in seinen Bannkreis gerieten: „Er ist für mich das, was er immer war, der einzige Mann, welcher einen Einfluss auf mich hatte. Es ist eine Art Gehirnvergiftung.“

Wolfgang Martynkewicz: Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 408 Seiten, 24 €.

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