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Hör BÜCHER: Bitte keinen Seniorenteller!

Was heißt hier ALT!“ – das ist keine Frage, im Titel dieser Produktion von HelpAge Deutschland e.

Was heißt hier ALT!“ – das ist keine Frage, im Titel dieser Produktion von HelpAge Deutschland e.V. und Stückwerke (Antje Kunstmann Verlag, 2012) wird es trotzig mit Ausrufezeichen versehen. Nun ist es ja nicht so, dass lediglich der morgendliche Blick in den Spiegel verrät, dass man in älter werdender Gesellschaft lebt: Ob im Straßenbild, und dort manchmal sogar extrem rasant in Gestalt radelnder Rentner, oder in der Werbung, wo sie beileibe nicht nur als Treppenliftkandidaten vorkommen – überall sind ältere Menschen präsent. Ein Roman über einen Hundertjährigen, der aus dem Fenster steigt, erfreut sich großer Beliebtheit, und der Ausruf „Ich will keinen Seniorenteller“ stößt auf breites Verständnis. Die Kaffeefahrt mit Heizdeckenverkauf gehört auch eher der Vergangenheit an. Das Thema ist in der Gesellschaft angekommen.

Das Hörbuch „Was heißt hier ALT!“ enthält eine Vielzahl von klugen, teilweise überraschenden Reflexionen, etwa über die geheimnisvolle Verbindung der beiden „Randgruppen“ der Gesellschaft: Jugend (noch nicht!) und Alter (nicht mehr!) oder die paradoxe Beobachtung, dass zwar alle alt werden wollen, niemand aber alt sein möchte. Zu Wort kommen unter anderem Hannelore Hoger, Margot Käßmann, Heide Simonis, Rita Süssmuth, Henning Scherf und Theo Sommer. Besonders hervorzuheben ist, dass der Blick über Deutschland hinaus auch auf das Leben älterer Menschen in Entwicklungs- und Transformationsländern gerichtet wird (www.helpage.de).

Als Motto steht auf dem Cover: „Alter ist Unruhe, ist Innovation. Alter ist Zukunft“. Damit das aber auch in Zukunft so bleibt, sollte man bei aller Flucht nach vorn nicht unterschlagen, dass Alter in erster Linie eben für eines steht: für Vergangenheit. Wenn die Alten immer jünger werden, im Internet einkaufen oder mit ihrem Handy Urlaubsfotos verschicken – schön und gut. Aber sie tun nachwachsenden Generationen keinen Gefallen, wenn sie zu eilfertig einen Erfahrungsschatz aufgeben, der auch Jüngeren etwas bedeuten könnte.

Daran musste ich denken, als ich neulich noch einmal die Hörspielfassung von Vicki Baums Roman „Menschen im Hotel“ (Der Hörverlag, 2012) aus dem Jahr 1958 hörte. So wie man bei Schwarz-Weiß-Filmen a priori Dramaturgie und Dialog-Kultur voraussetzen kann, haben alte Hörspiele oft Qualitäten, über die man heute nur staunt. Die Grusinskaja, eine bejahrte Ballerina (Brigitte Horney) besitzt eine berühmte Perlenkette. Und an dieser Kette wird nun geschickt diese Hotel-Geschichte aufgefädelt. Baron von Gaigern, Hochstapler und Hallodri (Erik Schumann), dessen Charme man auch als Hörer gern erliegt, ist hinter den Perlen her.

Ihn wiederum umschwärmt Kringelein (Willy Maertens), ein todkranker Buchhalter, der noch einmal groß auf Lebemann machen will, trotzdem aber jede kleinste Rechnung des Kellners genau überprüft. Und wie im richtigen Leben darf auch der Zufall mitspielen. Ebenfalls in diesem Hotel abgestiegen: Kringeleins gehasster Ex-Chef: Generaldirektor Preysing (Paul Dahlke), zugange mit dubiosen Geschäften.

Wie viele dramaturgische Gelegenheiten es damals gab: Allein das Erscheinen des Telegrammboten! Oder: wenn das Fräulein (Gisela Zoch-Westphal) zum Diktat beim Direktor ist – dieser Mix aus Dienstlichem und plumper Anmache. Selbst aus der damals in Hotelzimmern noch vorhandenen Portiere schlägt die Baum dramaturgisches Kapital: Man kann sich dahinter verstecken. 85 Minuten dauert dieses Stück (Regie: Heinz-Günter Stamm), so lange wie ein TV-Unterhaltungsfilm; im Unterschied dazu aber: absolut unterhaltsam.

Das Hörspiel, als genuine Kunstform des Radios, wird heute zu einer Länge (Kürze!) von unter 60 Minuten verdonnert. In einem wirklich fairen Vergleich mit den TV-Einschaltquoten, müsste man ihm wieder gestatten, seine Geschichten auch in anderthalb Stunden erzählen zu können. Und was käme dabei heraus? Man wüsste im Hinblick aufs Fernsehen wieder, warum es heißt „in die Röhre gucken“. Oder „Mattscheibe“. Oder eben, ganz modern, „Flachbildschirm“.

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