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Hör BÜCHER: One Man Show für zwei

Beethovens 9. Sinfonie auf einem ordinären Taschenkamm aus der Drogerie zu blasen, ist ein reizvolles, aber auch schwieriges Unterfangen.

Beethovens 9. Sinfonie auf einem ordinären Taschenkamm aus der Drogerie zu blasen, ist ein reizvolles, aber auch schwieriges Unterfangen. Neben musikalischem Fingerspitzengefühl setzt das ein hinreichendes Maß an Improvisationskunst voraus. Nun gibt es gleich zwei aktuelle Hörbuchproduktionen, in denen etwas durchaus Vergleichbares versucht wird: Sebastian Rudolph spricht solo den gesamten „Faust I“, (Osterwold audio, 2012), Stefan Kaminski gibt als Ein-Mann-Hörspiel komplett den „Ring des Nibelungen“ (Jumbo, 2013).

Bei solch kühnen Aktionen stellt sich natürlich leise, aber vernehmlich die Sinnfrage. Womöglich, könnte man denken, sind solche One Man Shows ein künstlerischer Reflex auf unsere Zeit, in der die gute alte Arbeitsteilung längst passé ist, Dienstleistungsgesellschaft nichts anderes mehr bedeutet, als dass man selbst rund um die Uhr Dienst leisten muss, sprich: als entnervter Alleinunterhalter inmitten seiner multiplen Gerätschaften sitzt und von der Buchung einer DB-Fahrkarte oder eines Flugtickets, dem Aufbau eines elenden Schuhregals bis hin zur Installation einer neuen Telefonanlage ohnehin alles selbst macht: Warum da nicht also auch gleich noch den ganzen Faust oder die Nibelungen? Ja, warum eigentlich nicht? Kulturkritische Nörgeleien jetzt mal beiseite und – Vorhang auf!

Sebastian Rudolph beginnt völlig unspektakulär. Er muss nicht bombastisch aufspielen, er verfügt über eine exzellente Sprechkultur. Nur bei der „Zueignung“, ganz am Anfang, trübt er den Blankvers des fünfhebigen Jambus an einer Stelle leicht ein, indem er „halbverklungenen“ statt „halbverklungnen“ sagt – ein bedenklicher Verstolperer, ich wollte die Kolumnistenstirn schon streng in Falten legen, doch dann waren wir ja gleich in Fausts wohlvertrauter verstaubter Studierstube, Track 4, und da hatte er mich schon ganz in seinen Zauberbann gezogen.

Wie Rudolph den berühmten ersten Satz dieses großen deutschen Seelendramas zelebriert – unvergleichlich! „Habe nun...“ – und jetzt kommt eine quälend lange Pause, und dann entringt sich seinem tiefsten Innern ein Laut, der so gar nichts von einem flott dahergesagten theatralischen „ach“ hat; nein, bei Rudolph ist das eher ein angewidert herausgehauchtes, aber sehr tief empfundenes Aufstöhnen. (So etwa, als vertiefte er sich gerade in die Bedienungsanleitung der o. g. Telefonanlage!)

Und das ist nur der Anfang! Diese Produktion beginnt ganz moderat, doch sie steigert sich im vollen Wortsinne: unheimlich. 2012 wurde Sebastian Rudolph von Theater heute für diesen herrlichen Alleingang zum „Schauspieler des Jahres“ gekürt.

Kann so eine Solonummer aber auch mit den vier Wagneropern des „Rings“ gelingen? Ja, klar, man muss nur über die richtige Regiekonzeption verfügen. O-Ton Kaminski: „Das Schmieden des Schwertes dauert bei Wagner eine Dreiviertelstunde, wobei Siegfried sich einen absingt... Bei uns ist das eine gute Minute, dann ist das Ding geschmiedet.“ Nicht schlecht. Für unsere Zeit, in der ja Ehe- und andere Probleme eher nicht singend miteinander verhandelt werden, ist so ein kruder Zugang meines Erachtens völlig angebracht.

Weiter: „Aus dem Originallibretto habe ich mir das Beste rausgepickt, umgeformt, zusammengebastelt, umgedreht und adaptiert, so dass es auf knappste Weise, relativ kurz und trickfilmhaft die Geschichte erzählen kann.“ Hardcore-Wagner-Verehrer werden sich hier sicher vor Abscheu schütteln; der Rest aber kann sich über fünf Stunden lang an dieser irrsinnig entfesselten Anarcho-Inszenierung erfreuen – und schütteln vor Lachen!

Wem das alles aber zu laut, zu blubberig, zu überdreht und überhaupt viel zu viel sein sollte, der kann sich – jetzt wieder ganz klassisch – „Tristan und Isolde“ (Der Hörverlag, 2013) auflegen. Da hört man, diskret kommentiert vom jüngst verstorbenen Berliner Altphilologen und Wagnerkenner Peter Wapnewski, eine Einspielung Wilhelm Furtwänglers mit dem London Philharmonia Orchestra aus dem Jahre 1952, und die ist wirklich: göttlich schön.

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