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Mit List, Hintersinn und leiser Tücke. Die Dichterin Nora Gomringer ist im Brotberuf Leiterin des Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg.

© Julia Kinitz/V & Q

Neue Gedichte von Nora Gomringer: Horror und Häkeln

Die Bachmann-Preisträgerin und Spoken-Word-Künstlerin Nora Gomringer lässt in einem neuen Gedichtband ihren Sprachwitz an der Mode aus.

Manches wirkt so monströs, als wäre es geradewegs ihren „Monster Poems“ zum Auftakt ihrer „Trilogie der Oberflächen und Unsichtbarkeiten“ entsprungen. Nur treten in dem nun abschließenden Band „Moden“ keine Vampire und Werwölfe, kein Godzilla und kein King Kong auf. Der Horror kommt gestickt, gehäkelt, gestrickt, geflochten und gewebt daher.

Die Kunst des Verhüllens und Zeigens, der Täuschung und Tarnung, beherrscht die 1980 geborene Lyrikerin und Spoken-Word-Künstlerin Nora Gomringer perfekt. „Fadenscheinig“ ist das Zauberwort, mit dem sich ihr Kuriositätenkabinett rund um Dresscodes und Geschlechteridentitäten öffnet – etwa in „Maybelline 306“, wo sich die sprechende Figur als „Mischung aus Furie und Hure", kurz „Fure“, gebärdet.

Spätestens beim Zombiehorror der US-amerikanischen TV-Serie „The Walking Dead“ oder der mörderischen Liste des Leichenschänders Ed Grein („Eds Liste“) ist man doch wieder beim Monströsen. Retro-Look ist angesagt, nicht nur bei der Clutch, der kleinen Damenhandtasche ohne Henkel oder beim Dirndl. Der Stil, mit dem sich Frau wie in den 50er Jahren die Hollywoodnixe Esther Williams als „Million Dollar Mermaid“ präsentiert, ist ihr ein ebenso parodistischer Graus wie das zur Schau gestellte Durchbrechen derselben. Nora Gomringer spielt auf der Klaviatur des Komischen, bis es ins Absurde kippt.

Verblüffende Perspektive auf Sexualität und Familie

Was auf den ersten Blick gerne harmlos erscheint, zeigt sich bei näherer Betrachtung als dämonisch. Da tanzen die Puppen zum Spektakel eines grimmig die Zähne fletschenden Untiers, macht sich ein Geier an Skelettresten zu schaffen, hält eine Dienstmagd rücklings die Folter-Balance zwischen zwei Stühlen.

Gomringer, die 2015 in Klagenfurt mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, erprobt in ihren Gedichten verblüffende Perspektiven auf Sexualität, Familie, soziale Beziehungen, Ethnizität und Nationalität. Je leichter der Tonfall, umso schwerer wiegen die Schicksale der porträtierten Figuren: der krebskranken Frau in „Hair, long as god can grow it“, der Zirkustänzerin, für die das Leben eine wahnsinnig machende „Pferdenummer“ ist, der zwölfjährigen asiatische Näherin, die fürs Überleben in der Billigproduktion arbeitet, oder der mit verkrüppelten Zehen lebenden Chinesin – Opfer eines überkommenen Schönheitsideals.

Codewörter in anderen Sprachen

Reimar Limmers Collagen – das „Dirndl“ ohne Kopf oder der König im Damenkleid („Moustache et Lunettes“) – korrespondieren mit den Gedichten. In „Semanta Santa“ stellt er die Brisanz sogar erst her, denn bei Gomringer ist nur von einer „verschwundenen“ Person die Rede. Er zeigt eine in einen Niqab gehüllte junge Frau.

Auf der beigelegten CD sind neben den Texten des Bandes zwei weitere Gedichte zu hören, gelesen von der Autorin selbst. In „Gurt Strick Band“ sinnt sie über Codewörter in anderen Sprachen nach, und in „Verkündigungsbestzeiten“ den Bedeutungsverschiebungen einzelner Wörter. Frage im letzten Gedicht: Sind „zahllose Kommentare die neue Zärtlichkeit auf Erden“?

Nora Gomringer: Moden. Gedichte. Illustriert von Reimar Limmer. Mit Audio-CD. Voland & Quist, Leipzig 2017. 64 S., 18 €.

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