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Kultur: In Aharon Appelfelds Roman "Eiserner Pfad" sind die Protagonisten Verwahrer der gestorbenen, jüdischen Kultur

Erwin Siegelbaum ist Antiquar. Einmal im Jahr reist er durch Österreich, um alte jüdische Kultgegenstände und hebräische und jiddische Schriften auf den Provinzmärkten aufzukaufen.

Erwin Siegelbaum ist Antiquar. Einmal im Jahr reist er durch Österreich, um alte jüdische Kultgegenstände und hebräische und jiddische Schriften auf den Provinzmärkten aufzukaufen. Auf bäuerlichen Dachböden findet er zuweilen Dinge, die nur noch einer kleinen Gemeinde von Eingeweihten etwas bedeuten. Doch eigentliches Ziel seiner rastlosen Reisen und Recherchen sind weniger die toten Gegenstände, die Geschichten einer untergegangenen Welt erzählen, als viel mehr der SS-Mann Nachtigel, der Siegelbaums Eltern im Lager ermordete.

In Aharon Appelfelds neustem Roman "Der eiserne Pfad" (Alexander Fest Verlag, 208 Seiten, 39 Mark 80) verbindet sich die Biografie Siegelbaums mit seiner trostlosen Unstetigkeit und lakonischen Erzählweise zu einer nihilistisch-dichten Einheit: Durch den Verlust der Eltern und die Lagererfahrung als Kind aus der menschlichen Gemeinschaft gerissen, findet Siegelbaum nur gelegentlich Ruhe. Bei Frauen, die er liebt und bald wieder im Stich lässt, oder bei den schattenhaften Gestalten aus einer anderen Welt, die sein Schicksal teilen. Kommunisten, die ihr Judentum verleugneten, dann aber wieder auf ihre Herkunft zurückgeworfen wurden, weil die Genossen die Solidarität in den Jahren der Verfolgung verweigerten. Rabbiner, die Österreich eigentlich verlassen wollten, dann aber blieben, um über einen jüdischen Friedhof zu wachen oder eine verwaiste Bibliothek oder eine Synagoge zu erhalten.

Es handelt sich um den "Stamm der verlorenen Seelen", allesamt Testamentsverwalter einer gestorbenen Kultur, die versuchen, in Büchern und Gegenständen einen Funken des Vergangenen zu erhalten. Das von Antisemitismus durchtränkte ländliche Österreich kann ihnen nichts mehr anhaben. Zwar werden sie die Angst nie los, die Lager haben sie aber endgültig dieser Welt entrückt. Wer nichts mehr vom Leben verlangt, dem kann der Antisemit nichts mehr verweigern.

Siegelbaum wird zum Verwahrer des Gewesenen. Langjährige Reisebekanntschaften übergeben ihm die letzten Spuren ihrer Familien: Bücher, Shabbat-Weinkelche und Kerzenständer. Und obwohl ihn die Bindungslosigkeit des Entwurzelten durch die Dörfer treibt, folgt sein "Eiserner Pfad" doch einer unerbittlichen, unausweichlichen Choreografie: Letztendlich erschießt er Nachtigel nicht aus Rache, sondern um einen absurden Versuch zu wagen, die zerbrochene Welt zumindest punktuell wieder ins Lot zu bringen. Ein Reflex aus den Zeiten, als die Welt noch als reparierbar galt. Doch Siegelbaum ist sich der Vergeblichkeit jeglicher Gerechtigkeit bewusst: "Ich hatte stets unzulänglich und unter Zwang gehandelt, und immer zu spät."Aharon Appelfeld liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23.

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