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Kultur: Islam: Die Kinder von Mohammed und Coca Cola

Wir fremdeln wieder einmal. Unbarmherzig, grausam kommt sie uns vor, jene andere Seite des Zivilisationsmeeres.

Wir fremdeln wieder einmal. Unbarmherzig, grausam kommt sie uns vor, jene andere Seite des Zivilisationsmeeres. Lessings Ring-Parabel will nicht so recht passen zu jener hartkernigen Unbeugsamkeit, mit der uns der Islam dieser Tage gegenübertritt: in Form tausendfach mordender Terroristen. Das Wort vom "clash of civilisations" geht um. Wir, die Guten, sind wie immer auf der richtigen Seite. Und die da drüben, in Nordafrika, der Levante und Zentralasien können uns nur von ihrem Gutsein überzeugen, wenn sie so werden wie wir: Von aufgeklärter Abgeklärtheit.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Militärische Reaktionen: Die Vorbereitungen auf einen Gegenschlag Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 Fahndung: Der Stand der Ermittlungen Fotos: Die Ereignisse seit dem 11. September in Bildern Der Islam hat sich, so scheint es, seinen schlechten Ruf mehr als verdient. Seit Jahrhunderten bleibt die muslimische Welt immer weiter hinter dem Westen zurück. Es gibt keine andere Ansammlung kulturell verbundener Staaten, die so wenige Demokratien aufweist wie die arabische - nämlich keine. Und selbst so mancher gebildeter Muslim antwortet auf die Frage nach den Ursachen der Misere mit den weit verbreiteten Stereotypen: Amerikaner, Juden und Freimaurer - die sollen an allem schuld sein.

Das Verhältnis von Orient und Okzident hat alle Höhen und Tiefen durchschritten. Dabei hatte das christliche Europa schon immer ein starkes Bedürfnis nach einem Gegenüber, um sich selber zu finden - die Juden mussten Jahrhunderte dafür herhalten. Doch für die Einheit des christlichen Kontinents hat die äußere Gefahr aus dem Orient mehr bewirkt als Europas Juden. In Kriegen und Kreuzzügen gen Orient fand das Abendland zusammen - und zu sich selbst. Eine unheilvolle Beziehung, die mit den altgriechischen Polemiken gegen die Perser begann und bis heute fortlebt. Doch im Drang nach selbst erhebender Abgrenzung bleibt ein leiser Zweifel: Grinst uns in den fanatisch verzerrten Gesichtern derjenigen, die in Islamabad, Kabul und Bagdad Puppen in amerikanischen Farben verbrennen, nicht immer auch die Fratze unseres eigenen Mittelalters an, als unsere Vorfahren mit dem Schwert in der Hand die Gassen Jerusalems in Blutbäche verwandelten?

Zweischneidige Schwerter

Damals rümpften die kultivierten Araber die Nase über diese Horde ungewaschener, stinkender Barbaren. Heute sind wir schockiert: als seien die islamischen Fantiker aus der Zeit gefallen. Dabei müssten wir nur etwas mehr als 60 Jahre zurückgehen, um die gleichen enthusiastisch verzerrten Gesichter im Berliner Sportpalast zu entdecken, wie sie Goebbels jenes tausendkehlige "Ja" entgegenschmettern auf seine Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?"

Die Scholl-Latours dieser Welt sehen im fanatischen Islam eine anthropologische Konstante. Irgendwas muss es ja sein in dieser Kultur, das immer wieder Selbstmordattentäter hervorbringt - ein roter Faden, der sich von den mittelalterlichen Assassinen in den Bergen des Libanon bis zu Osama bin Laden zieht. Moderate Muslime und westliche Islamwissenschaftler halten dagegen: Sie führen einen "authentischen" Islam, die Toleranzbotschaft des Koran ins Feld. Beide Seiten tun so, als gäbe es das: einen ontologischen Kern jeder Religion. Als könnte ein Zeitalter für sich in Anspruch nehmen, eine Kultur in ihrer Reinform zu verkörpern. Als stünde eine Gruppe von Ideen oder Menschen fürs Ganze.

Was wäre denn der rote Faden unserer abendländischen Kultur? Der, der von den Pestpogromen über das Vertreibungsedikt in Spanien, über den Sklavenhandel und den Kolonialismus in den Holocaust mündet? Oder der Faden, der vom Sizilien Friedrich II. über Nikolaus von Kues, Eramus von Rotterdam bis zur Aufklärung und den stabilen Demokratien der Nachkriegszeit führt?

Auch im Koran findet sich beides: Das Abschlachten des jüdischen Stammes der Banu Qurayza noch unter der Führung Mohammeds kann als Begründung für einen Jihad gegen die Andersgläubigen herhalten. Andererseits hatten alle "Buchbesitzer" - ein zunächst auf Juden und Christen gemünzter Begriff, der später ausgedehnt wurde - innerhalb der muslimischen Gemeinschaft den Status einer geschützten Gruppe. So hatten es arabische Juden bis zur Neuzeit weitaus besser als ihre Verwandten in Europa. Welchen der beiden Traditionsstränge muslimische Gesellschaften verfolgen, das hängt eben nicht vom Wesen des Islam ab.

Religiöse Texte sind immer ambivalent, bieten sich für vielerlei Auslegungen an. So weiß man, dass viele muslimische Rechtsgelehrte des 8. und 9. Jahrhunderts ihre eigenen Ansichten in Prophetenaussprüche gekleidet haben, um diese islamisch zu legitimieren. Angebliche Reden und Handlungen Mohammeds wurden im großen Stil gefälscht, denn: Eine Religion muss sich entwickeln und neue Antworten auf vordem unbekannte Fragen finden.

So fehlte es einem modernen Islam nicht etwa an Anknüpfungspunkten, mit Hilfe derer man eine offene, pluralistische und demokratische Gesellschaft begründen könnte. Mohammeds im Koran festgehaltener Satz "Es gibt keinen Zwang in der Religion" bietet dafür die beste Vorlage. Es fehlt bisher aber am politischen Willen, diesen Weg auch zu beschreiten. Das ist der Kern des Problems: das Fehlen offener Gesellschaften. Denn die Muslime kranken nicht am Westen, auch wenn der in alle Schichten hinein als Grund herhalten muss für die eigene Misere. Sie kranken an ihren politischen Systemen, die keine freie Selbstverständigung der Gesellschaft zulassen. So wurde der Islamismus erst populär, weil die Diktaturen in Nahost jede Gesellschaftskritik mundtot gemacht haben - oft genug mit Gewalt und Folter. Am Ende war der Islam das einzige Argument, mit dem Kritik geübt werden konnte - weil die Herrschenden jede Legitimation verlieren würden, wenn sie auch noch den islamischen Charakter ihrer Gesellschaften verleugnen wollten. Auch deswegen kehren Islamisten die sozialen Elemente der Botschaft Mohammeds so in den Vordergrund.

Wie uns der Islam als Folie und Gegenentwurf dient, so dienen vielen Muslimen Stereotype über den Westen als Mittel, das Eigene deutlicher zu fassen. Zumal sie aus der Kolonialgeschichte guten Grund für anhaltenden Groll haben. Doch auch wenn jetzt die Destabilisierung moderater islamischer Staaten an die Wand gemalt wird im Falle, dass die arabischen Regierungen den USA weiter folgen, als ihre Bürger zu gehen bereit sind: Die Hoch-Zeit des fundamentalistischen politischen Islam ist vorbei.

Seit die Mullahs abgewirtschaftet haben, nimmt die Ausstrahlung des Iran merklich ab. Und was für den westlichen Terrorismus galt, gilt auch hier: Je gewalttätiger die Extremisten wurden, desto mehr distanzierte sich die Bevölkerung von ihnen, verloren sie ihr Sympathiesantenumfeld. In Ägypten haben die Extremisten seit dem Anschlag in Luxor nichts mehr zu melden - die Islamisten sind auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Im Gegenzug wird aber auch das Regime abhängiger von den Korangelehrten.

Hass zwischen den Welten

Abermals wird der Iran zum Modellfall: Hier könnte ein dritter Weg enstehen, zwischen den arabischen Diktaturen und dem türkischen Vorbild eines weltlichen Staates. Ein demokratischer, moderner Staat, der seine Legitimität aber dennoch aus der muslimischen Zivilisation schöpft - vielleicht ist das der einzige Weg, "westlich" zu werden, ohne den Westen zu kopieren.

Was an den Attentätern von New York und Washington so irritiert, ist ihre Herkunft. Die meisten sind gut ausgebildete Mustersöhne aus der Mittelschicht. Was für ein Leben mögen die Hamburger Studenten geführt haben? Sie waren gleichsam doppelt entfremdet: Im Westen galten sie als Außenseiter, auf Besuch im eigenen Land fiel ihnen die fehlende Meinungsfreiheit dann jedoch umso deutlicher auf. Vom Westen nur das "Schlechte" zu bekommen, das ist der Eindruck vieler im Nahen Osten. Dass die Reichen selbst nach Mekka fahren wegen der mit westlichen Konsumgütern überquellenden Shopping-Malls, während gleichzeitig wichtige Bedürfnisse unbefriedigt bleiben - nach politischer Teilhabe, nach Sinn. Und einen Sinn, wie auch immer krude und unausgegoren, konnte bin Laden seinen Jüngern bieten. Gewürzt mit Kämpfer-Kameradschaft und Lagerfeuerromantik in den wilden Bergen Afghanistans.

Sinn im finalen Hass zu finden, im eigenen Untergang - warum das für junge Männer aus gutem Hause so attraktiv ist, das müssten sich Regierungen und Öffentlichkeit in muslimischen Ländern fragen. Vor den Anschlägen sollen sich die Attentäter noch Cabrios gekauft haben und ganz aufgegangen sein in der Pizza- und Cola-Kultur. Es gibt wohl nur einen Hass, der in jenen Männern noch schlimmer wütete als der auf Amerika: der Hass auf sich selbst. Und darauf, dass sich ihre eigene Kultur so widerstandslos der westlichen Konsumwelt ergibt.

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