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Kultur: "Jenseits von Tibet": Die drei Leben der Sandra H.

Wer seinen Schatten fürchtet, lebt freier im Dunkeln - oder in dem verbarrikadierten Berlin von vor zwanzig Jahren. Wie viele andere flüchtet auch Sandra Herbener in die Mauerstadt - nichts wie weg aus dem blitzsauberen Heimatidyll am Bodensee.

Wer seinen Schatten fürchtet, lebt freier im Dunkeln - oder in dem verbarrikadierten Berlin von vor zwanzig Jahren. Wie viele andere flüchtet auch Sandra Herbener in die Mauerstadt - nichts wie weg aus dem blitzsauberen Heimatidyll am Bodensee. Der Teenager erwacht als Punkerin zu neuem Leben. Sie nennt sich Santrra Oxyd und singt zum Akkordeon melancholische Lieder. Eine Drogenabhängige mit verwundeter Seele, dilettantisch genial und von der Szene als schräge Heroine gefeiert. Was wurde aus ihr? Santrra hat überlebt. Wie, das zeigt "Jenseits von Tibet".

Der Dokumentarfilm von Solveig Klaßen beginnt mit einem Lachen. Zwei Menschen kugeln durch das Sonnenlicht: Santrra und ihr Mann Ngawang Gelek. "Bist du glücklich jetzt?", fragt Santrra. "Ich bin glücklich", antwortet der Mann neben ihr. "Ich habe dich geheiratet und teile mein Leben mit einer Frau". Santrra erzählt. Wie sie als Schülerin des ZEN-Buddhismus ihre Drogensucht besiegt, nach Indien reist, um endlich bei sich anzukommen. Wieder stapft sie jenen Pfad hoch, der zu den kargen Behausungen einiger Einsiedlermönche führt. Ngawang Geleks Hütte ist inzwischen verfallen. Gelek ist nicht irgendeiner, der sich in die Einsamkeit der Gebete zurückgezogen hat. In seiner Heimat gilt der Sohn einer Nomadenfamilie als die sechste Reinkarnation eines Lamas. Die Chinesen nehmen ihn gefangen und foltern ihn, bis er 1989 nach Indien flieht. Schließlich steht Santrra vor seiner Hütte. "Verrückte Europäer kannte ich schon", lächelt Gelek. "Ich dachte erst, sie gehört auch dazu." Hartnäckig besucht Santrra ihn immer wieder, bis Gelek sein Mönchsgelübde bricht. Die beiden heiraten, dann folgt ihr Gelek nach Berlin.

Glücklicherweise schwebt das Paar nicht nur auf rosa Wölkchen durch die Bilder, dafür sind ihre Wurzeln zu unterschiedlich: Während Santrras Vater mit einem Teleskop-Wedel stolz sein Häuschen bis unters Dach feudelt, sitzt 8000 Kilometer weiter östlich Geleks Vater in einer kargen Jurte zwischen Yaks und Großfamilie. Wie vertragen sich westlicher Egoismus und tibetanische Spiritualität? Wie gestaltet sich der Alltag der kleinen Familie, zu der inzwischen eine dreijährige Tochter gehört?

"Jenseits von Tibet" scheut weder naive Erklärungen noch die mitunter exhibitionistische Konfrontation mit der Vergangenheit. Doch wenn Santrra und Gelek auf einem Gipfel ihr Glück in die indische Bergwelt jubilieren, spürt man, dass ihnen nicht nur die Berge antworten. Hier haben sich zwei Außenseiter gefunden, die sich mit Respekt und Toleranz begegnen.

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