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Jurjews KLASSIKER: Heroische Flatulenzen

Gainsbourg – Ein Heldenleben“, so heißt Joann Sfars unlängst angelaufene Filmbiografie des Sängers im französischen Original. Wahrscheinlich deshalb betitelte der schlaue Blumenbar Verlag die deutsche Übersetzung von Gainsbourgs Roman „Evguenie Sokolov“ (1980) mit „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“ (80 Seiten, 12,90 €) und nicht mit „Die Kunst des Furzens – Das explosive Leben des Evguenie Sokolov“, wie zuletzt die Taschenbuchausgabe von Hartmut Zahns Übersetzung hieß, die vor bald einem Vierteljahrhundert als „Erlaucht ist, was gefällt“ im Popa Verlag erschienen war.

Gainsbourg – Ein Heldenleben“, so heißt Joann Sfars unlängst angelaufene Filmbiografie des Sängers im französischen Original. Wahrscheinlich deshalb betitelte der schlaue Blumenbar Verlag die deutsche Übersetzung von Gainsbourgs Roman „Evguenie Sokolov“ (1980) mit „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“ (80 Seiten, 12,90 €) und nicht mit „Die Kunst des Furzens – Das explosive Leben des Evguenie Sokolov“, wie zuletzt die Taschenbuchausgabe von Hartmut Zahns Übersetzung hieß, die vor bald einem Vierteljahrhundert als „Erlaucht ist, was gefällt“ im Popa Verlag erschienen war. Nun ja. „Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte“ heißt der Film hierzulande. Wo ist das vie héroïque geblieben? Egal. Hauptsache, das Buch ist wieder da!

Der Maler Evgenij Sokolov, der seit seiner Kindheit von einem schrecklichen Furzzwang geplagte Held von Gainsbourg, ähnelt seinem Schöpfer in vieler Hinsicht. Er ist russischer Abstammung: Lucien Ginsburg, der sich später Serge Gainsbourg nannte, wurde 1928 in Paris in einer Familie russisch-jüdischer Einwanderer geboren. Er machte Erfahrungen mit der Schule, mit dem Studium der Malerei, mit Komplexen und dem Begehren nach dem anderen Geschlecht. Nur verließ Lucien den Pfad der hohen Kunst, um in Pariser Nachkriegsbars Klavier zu spielen; sein Vater war Musiker, der Sohn hatte eine streng klassische Musikausbildung bekommen. Er wurde später Songwriter, Sänger und Schauspieler, aber in erster Linie Selbstdarsteller. Evgenij blieb der Malerei treu.

Man interpretiert Evgenij Sokolov häufig als eine Karikatur auf den Kulturbetrieb, gar als eine Abrechnung. Ich würde ihn eher eine Beichte nennen, auf ihre Art eine der ergreifendsten in der europäischen Literatur. Oder eine Selbstöffnung mit einfacher Umkodierung. Das unaufhaltsame und den Körper in grotesken Rhythmen erbeben lassende Furzen des Evgenij Sokolov, das er irgendwann mit den Bewegungen seiner zeichnenden Hand zu synchronisieren lernt und durch solchermaßen entstehende Bilder berühmt und reich wird, ist viel weniger Satire auf irgendetwas, als die Metapher eines unaufhörlichen Selbstäußerungs- oder Selbstdarstellungszwangs.

Man ist verdammt, schamlos das Schamhafteste aus dem Inneren, aus den eigenen Eingeweiden nach außen zu transportieren. Im Prinzip handelt man als Künstler mit dem eigenen Leiden. Das meinten bereits die Romantiker. Serge Gainsbourg ist ein Romantiker, und seine Metapher ist romantisch. Deshalb ist sie, bei aller Ausführlichkeit in den physiologischen Beschreibungen, nie widerlich. Das heroische Furzen des Evgenij Sokolov stinkt nicht.

Als sein Leiden plötzlich geheilt zu werden droht, gerät der Held in Panik und regt sich mit allen möglichen Mitteln zu weiterem Furzen an. Dadurch stirbt er auch am Ende. Es erübrigt sich zu erklären, dass Alkohol, Drogen, Sex und Skandale die Mittel sind, die den Fluss der psychischen Gase wiederherstellen sollten, die ein Liebling der Musen (oder vielmehr des Publikums) absondern muss.

Gainsbourg hat keine Autobiografie geschrieben, aber er hat ein erschütterndes Bild für sich selbst gefunden, für sein Leben – ein nüchternes, ein bitteres, ein komisches und tragisches zugleich. Erstaunlich, mit welch sicherer Erzähltechnik, mit welchem literarischen Können, mit welchem psychologischen (Selbst-)Verständnis er diesen kleinen Text ausgearbeitet hat.

Auf keinen Fall möchte ich den Millionen von Verehrern Serge Gainsbourgs als Sänger und Komponist zu nahe treten, aber zu diesen Millionen zählte ich nie. Das bestätigte sich auch, während ich an dieser Kolumne schrieb: Kaum ein Lied konnte ich mir bis zum Ende antun; für meine Begriffe war das eine unverhüllte Popmusik. Mit einer Stimme gesungen, die eher einem ... aber lassen wir das lieber, er wusste das wohl auch.

Der Mann war mir jedoch von Anfang an sympathisch, trotz seines sichtlich berechneten Kunst-Charismas. Als ich dieses Büchlein gelesen hatte, wusste ich endlich warum: Serge Gainsbourg war ein großer Schriftsteller, der eben leider nur diesen einen Roman geschrieben hat. Und große Schriftsteller mag ich.

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