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Helge Timmerberg

© ddp/Jens-Ulrich Koch

Interview: „Sonnenbrillen machen feige“

Schreiben und reisen: Helge Timmerberg über dramatische Orte, wilde Tiere und kubanischen Rum.

Herr Timmerberg, Sie sind gerade in Mexiko. Beschreiben Sie doch kurz, wo genau, und was Sie sehen, hören und riechen?

Ich bin in einem Internet-Shop auf der Donceles, das ist eine Straße im alten Viertel von Mexiko-City, direkt hinter dem Zocalo-Platz, an dem die große Kathedrale steht und auf dem Shakira vor kurzem vor 300 000 Leuten ein Konzert gegeben hat. Die hübsche Bedienung eines Coffeeshops um die Ecke war da und hat erzählt, es hätte allen den Kopf weggeblasen. Ich sehe karibisches Licht, höre Autos, Hupen, Stimmen, rieche eine Mischung aus Diesel, Schweiz, Bohnen und Parfüm und fühle ein bisschen Wind, der durch das offene Fenster weht.

Wie riecht denn die Schweiz in Mexiko?

Die Schweiz riecht nach gesunden Kühen, sauberen Bergen, sehr netten Bankern und erlebnishungrigen Freunden, die mich gerade beneiden.

Das kann ich mir vorstellen. Vor wenigen Tagen waren Sie noch in Tokio, bald geht es weiter nach Kuba. Reisen Sie in 80 Tagen um die Welt?

Genau. Vorher war ich in Hongkong, Bangkok, Bombay, Kairo, Kreta, Athen, Venedig. Für mein neues Buch, das nächstes Jahr erscheint. Die Route ist grob festgelegt, aber ich habe die Freiheit, sie zu ändern, wo ich will. Eigentlich weiß ich immer erst ein, zwei Tage vorher, wann es weitergeht. Und wohin genau.

Was für Orte ziehen Sie an? Was ist ein guter Ort?

Das ist schwer zu beantworten. Es ist eine Mischung. Chemie. Klima, Atmosphäre, Architektur, Sprache. Wie sind die Menschen? Was für ein Geist herrscht da? Und der ändert sich auch über die Jahre. Als ich zum ersten Mal nach Marrakesch kam, küsste ich den Boden. So gut gefiel mir die Stadt. Inzwischen ist sie von Touristen überlaufen und ihre Magie fast dahin. Ich sage fast, weil ich dort mit Freunden ein Haus habe. Oder Bangkok. Ich war Mitte der achtziger Jahre erstmals da, in dieser Zeit befand sich die Stadt in einem Rausch. Die Tigerstaaten legten wirtschaftlich gerade los, das merkte man an jeder Ecke. Die Leute waren optimistisch, ja, euphorisch, das riss mich mit. Inzwischen geht es den Thailändern nicht mehr so gut. Die Stimmung ist dahin.

Wie läuft das, wenn Sie nur wenige Tage an einem Ort bleiben. Gibt es eine Art Moment, den Sie erleben müssen, etwas Erfülltes, bevor Sie weiterreisen können?

Ja, genauso ist es. Ich muss den Eindruck haben, etwas gefunden zu haben. Etwas, dass ich mitnehmen kann, das meinem Aufenthalt in der Stadt sinnvoll macht. Irgendetwas, von dem ich später erzählen und schreiben kann. Es gibt auch kleine Begegnungen, die große Wirkung haben. Es ist wie Schatzsuchen. Davon handelt auch dieses Buch. Ich reise einmal rund um die Erde und will lernen.

Gibt es auch Länder oder Städte ohne dramatisches Potenzial? Wo nichts passiert?

Langeweile ist ja eigentlich ein dramatisch unangenehmes Gefühl. Weil es einen auf sich selbst zurückwirft. Deshalb gibt es kein undramatisches Land. Hongkong zum Beispiel. Total langweilige Stadt. Zu klein, um nicht alles in null Komma nix gesehen zu haben. Nur Business oder Shopping. Ich hasse Einkaufen. Also habe ich den Fernseher im Hotel angemacht und Glück gehabt. Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“. Hatte ich noch nicht gesehen. Ein geiler Film in einer blöden Stadt. Übrigens: Können wir eine Pause machen? Die Kubaner erinnern mich via Mail gerade daran, dass sie dringend meine Ankunftszeit in Havanna brauchen. Ich muss jetzt unbedingt ins Reisebüro. Außerdem habe ich Hunger.

Zwei Tage später: Die Kubaner nerven jetzt schon mit ihrer Kontrollwut. Ich habe sie geärgert, weil ich den letzten Flieger genommen habe. Jetzt muss die Dame um 23 Uhr am Flughafen auf mich warten. Überhaupt gefällt mir Mexiko-City besser, als ich geglaubt hatte. Ich hatte hier nur drei Tage eingeplant, weil ich mich so auf Kuba gefreut habe. Vielleicht blase ich Kuba jetzt ab. Oder bleibe da nur drei Tage. Ich weiß ja nicht, was mich erwartet. Ich habe zwei Jahre, von 1995 bis ’97, in Havanna gelebt, aber das waren sehr spezielle Jahre.

Inwiefern?

Die Kubaner durften Dollars besitzen und kleine Geschäfte machen. Es wehte ein freier Wind, das Nachtleben war das beste der Welt. Castro hat dann alle Schrauben wieder angezogen. Stelle ich jetzt fest, dass dort die DDR wieder eingezogen ist, bin ich schnell zurück.

Was haben Sie damals in Kuba gemacht?

Sehr viel gelebt und sehr wenig geschrieben. War die beste Zeit meines Lebens. Ich hatte den besten Job der Welt. Die Leute-Seiten der „Bunten“. Franz Josef Wagner suchte in München aus, wer von heute, gestern oder morgen ist, sie schickten mir per Fax Archivmaterial über diese Promis und ich schrieb jeweils rund 20 Zeilen daraus. Das konnte ich von überall auf der Welt machen. Und immer nur donnerstags. Das wurde gut bezahlt. Der eine Tag Arbeit reichte für die Woche. Die anderen Tage tanzte und soff ich durch. Ich hatte davor eigentlich kaum Alkohol getrunken. Bin ja ein Kiffer. Aber in Havanna kam ich auf den Geschmack. Rum. Havanna Club. Nach zwei Jahren war ich dermaßen daneben, dass ich freiwillig die Insel meiner Träume verließ. Ich zog nach Wien, um mich zu erholen. Was in Wien gut geht.

Und wo wohnen Sie jetzt?

Ich pendele zwischen St.Gallen, Wien und Marrakesch. Und meine Freundin lebt in Berlin.

Sie haben einmal gesagt, Sie schreiben keine Romane, weil Sie die Wirklichkeit für verrückt genug halten. Jetzt ist „Das Haus der sprechenden Tiere“ als Fabel ja fast ein Roman geworden. Wie kam es dazu? Wieder eine Epiphanie, wie damals, als Ihnen als Siebzehnjähriger eine Stimme beim Meditieren in Indien sagte, Sie sollten Journalist werden?

Ich saß in unserem Haus in Marrakesch und wollte Urlaub machen. Ich war allein dort, das ist selten. Das Haus ist sehr groß, der Innenhof auch. Wir haben keinen Fernseher. Nur viele Kerzen, einen Springbrunnen und Vögel in den Bäumen. Die ersten drei Abende war das merkwürdig, so allein in einem 9-Zimmer-Riad. In der vierten Nacht kam die Idee zu dem Buch. Ich fing sofort an. Erst wollte ich nur die Katze sprechen lassen. Aber dann, wir haben ja Demokratie, haben alle gequatscht. Das Schöne an dem Buch ist, dass eigentlich alles stimmt. Wir hatten eine Katze, eine Schildkröte, neun Chamäleons, ein afrikanisches Streifenhörnchen, einen Wüsten-Waran und dann noch dieses kleine Wildschwein...

...Haluf genannt. Es geht um die rührende Liebe zwischen dem Kätzchen Putzi und eben diesem Wildschweinbaby. Doch die beiden kommen nicht zusammen. Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt frage: Was ist die Moral von der Geschicht’?

Es gibt Beziehungen, die keine sein sollten, weil sie nicht funktionieren. Weil da zwei zusammengekommen sind, die gegensätzliche Bedürfnisse haben. Die Katze braucht das Alleinsein, das Schwein braucht ständig Gesellschaft. Solche Beziehungsmodelle gibt es auch bei Menschen, sie sind eigentlich Unfälle. Da sollte man sich besser trennen.

Am Ende gründen beide eine Ihrer Gattung entsprechende Familie. Obwohl: Putzi hat zwar viele Kinder, aber auch viele um sie herumschnurrende Kater. Trotzdem: Da klingt die Sehnsucht nach geordneter Sesshaftigkeit durch.

Klar. Nach 30 Jahren Reisen will man ganz gern auch mal bleiben. Ist aber ziemlich schwer, weil die Mechanik in einem immer wieder auf die Straße drängt. Ich meine, wie lange soll das noch so weiter- gehen? Reisen, bis die Krücken brechen?

Haben Sie auf dieser Reise schon eine Ihrer Ray-Ban-Sonnenbrillen verloren?

Ich trage keine Sonnenbrillen mehr. Weil es kontraproduktiv ist. Sonnenlicht aktiviert Glückshormone, die Sonnenbrillen abblocken. Außerdem sind Sonnenbrillen ein Zeichen von Feigheit. Denn in den Augen kann man alles sehen. Sonnenbrillen sind der Schleier des Westens.

Das Gespräch führte Andreas Schäfer.

ZUR PERSON

Eigentlich sollte hier ein Porträt des Journalisten, Schriftstellers und Abenteurers Helge Timmerberg stehen, der vor kurzem die in Marokko spielende Fabel „Das Haus der sprechenden Tiere" (Rowohlt Berlin, Berlin 2007, 144 Seiten, 14, 90 €) veröffentlicht hat. Aber Helge Timmerberg ist, wie es sich für einen Reiseschriftsteller gehört, unterwegs. Deshalb ein E-Mail-Interview, geführt an zwei Tagen.

Helge Timmerberg wurde 1952 im hessischen Dorfitter geboren, lebt in Marrakesch, Berlin und Wien und schrieb in den achtziger und neunziger Jahren vor allem für „Tempo“. Inzwischen veröffentlicht er im „Stern“, in der „Zeit“, „Merian“

und im „Playboy“. 2001 erschien seine Sammlung „Tiger fressen keine Yogis. Stories von unterwegs", im letzten Jahr „Shiva Moon. Eine Reise durch Indien.“

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