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© dpa

Frankfurter Buchmesse: Was bekommen wir präsentiert?

Mit dem Gastland China hat es sich die Frankfurter Buchmesse nicht leicht gemacht. Wenn's brenzlig wird, lädt man lieber aus statt ein. Was hat das Programm der Messe dennoch zu bieten?

Dienstagabend, Frankfurter Buchmesse: Noch während der Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian die letzten Worte seiner Eröffnungsrede spricht, springt der chinesische Staatspräsident auf und geht mit offenen Armen auf ihn zu, derweil sich die Apparatschiks applaudierend erheben. Einen Tag später sitzen Autoren aus Hongkong, Tibet und China am runden Tisch, um über den Begriff „chinesische Literatur“ zu diskutieren. Der Vorsitzende des chinesischen P.E.N. leitet eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Engagierte Literatur in China“. Und die Journalistin Dai Qing, die auf einem Symposium im Vorfeld der Buchmesse die chinesischen Organisatoren mit Forderungen nach Demokratie und Meinungsfreiheit brüskierte, arbeitet gemeinsam mit Behördenvertretern an einer Novellierung des Presse- und Informationsgesetzes, um die Zensur auszuhebeln.

Wenn's brenzlig wird, lädt man lieber aus statt ein

Dieses Szenario ist eine Illusion, denn statt Diskussion ist Präsentation angesagt, man bleibt auf beiden Seiten hübsch unter sich, und wenn’s brenzlig wird, gilt die Devise: Statt Einladung lieber Ausladung. Immerhin wird Gao Xingjian über das Leben und Schreiben in zwei Kulturen sprechen. Als auf dem Salon de Livre in Paris 2004 China Schwerpunktland war, hielt die chinesische Regierung diese persona non grata erfolgreich fern. Der Essayist und Präsident des chinesischen P.E.N., Liu Xiaobo, sitzt im Gefängnis, weil er das Bürgerrechtsmanifest 08 unterzeichnete. Bei keiner Veranstaltung werden Autoren aus China auf Kollegen treffen, die dem Land den Rücken gekehrt haben – von einer Diskussion zwischen Vertretern des GAPP (Behörde für Presse und Publikationen) und Dissidenten ganz zu schweigen.

Anders herum gefragt: Was werden wir präsentiert bekommen? Mo Yan wird da sein, und dass er offizielles Mitglied der Schriftstellerdelegation ist, schmälert die Qualität seines Werks keineswegs. Seine Romane gehören zu den beachtenswertesten der zeitgenössischen Literatur Chinas. In „Der Überdruss“ bildet er die Geschichte Chinas seit den 50er Jahren ab und wählt einmal mehr für das Setting den Mikrokosmos seines Heimatdorfs. Das Handlungskonstrukt scheint gewagt: Ein zu Unrecht hingerichteter Großgrundbesitzer kehrt in die Welt zurück, nimmt aber am Familien- und Dorfgeschehen fortan nur noch in Tiergestalt teil. Genial ist der Streich, auf diese Weise die chinesischen Turbulenzen bis in die Gegenwart hinein zu beschreiben. Der Autor lässt Schweine tanzen, inszeniert Hundepartys, tritt auch selbst als vorlauter Junge auf und verbirgt dahinter eine subtile Kritik an den Landreformen, wie sie von der kommunistischen Partei seit der Gründung der Volksrepublik Chinas oftmals wider jegliche Vernunft den Bauern aufgezwungen wurden.

Angesichts der Entpolitisierung der Gesellschaft fühlt sich ein Autor wie Yu Hua, der ebenfalls in Frankfurt sein wird, geradezu verpflichtet, auf die Deformation seines Landes hinzuweisen. Dies tut er auch in seinem jüngsten Roman „Brüder“. Hier ist von den Exzessen während der Kulturrevolution ebenso die Rede wie von den Auswüchsen des Kapitalismus. So dicht gedrängt und expressiv der erste Teil auerzählt wird, so irritieren die ins Absurde gesteigerten, redundanten Verklärungen von Geld, Macht und Sex. Dennoch: Dieser Brückenschlag von der Kulturrevolution bis heute zeigt die Beschädigung der Menschen durch die damaligen Kampagnen, die zur Verrohung ganzer Generationen führte.

Auch der tibetische Autor Alai, der in seinen Romanen „Roter Mohn“ und „Ferne Quellen“ die tibetische Vergangenheit, aber auch die chinesische Überfremdung seiner Heimat differenziert beleuchtet, wird bei mehreren Veranstaltungen präsent sein. Es sind mit diesen drei Autoren neben Su Tong und Li Er wichtige, durchaus kritische Schriftsteller im Programm des Ehrengastes vertreten. Bemerkenswert ist zudem, dass innerhalb des offiziellen Teils die marginalisierten Hongkonger Autoren mit einem Panel zur städtischen Kultur und Literatur vorgestellt werden.

Dennoch ist es mehr als bedauerlich, dass einem Autor wie Liao Yiwu die Ausreise verwehrt wird, was gleichwohl mit Blick auf seine Biografie nicht wirklich überrascht. Seit der Niederschlagung der Studentendemonstration auf dem Platz des Himmlischen Friedens wurde er immer wieder verhaftet und steht auf der schwarzen Liste der Behörden.

Dem „Bodensatz der Gesellschaft“, so der chinesische Titel von „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“, widmet der Autor seine Sammlung von Interviews. Er führte mit Fengshui-Meistern, Menschenhändlern, Prostituierten und Straßensängern einfache, lakonische Gespräche. Ungeschminkt erzählen hier Außenseiter von ihrem Leben, weshalb das Buch in China auch verboten ist.

Ein schwacher Trost auch nur, dass die Essays der Tibeterin Tsering Woeser auf diversen Foren vorgelesen werden. Sie selbst darf seit Jahren in China nicht mehr publizieren und erhält erst gar keinen Pass für eine Auslandsreise. Und Zhu Wen („I love Dollars und andere Geschichten aus China“) mit seinen haltlosen Protagonisten und seiner Bewegung „Risse“, der sich jegliche Einflussnahme auf Literatur verbittet? Er fehlt, ebenso Yang Xianhui („Die Rechtsabweichler von Jiabiangou“) mit seiner fiktionalisierten Dokumentation über die Hungertoten in einem Arbeitslager. Doch ist es nicht vermessen, all das aufzuzählen, was fehlt? Schließlich gab es im Vorfeld eines jeden Gastlandauftritts Diskussionen darüber, welche Autoren eingeladen werden, obschon die Debatten dieses Jahr aufgrund des Ausreiseverbots von Liao Yiwu eine neue Dimension erfährt. Damit soll man nicht gleich die Idee vom Gastland zu Grabe tragen. Immerhin verhelfen solche internationalen Auftritte so manchem Autor zu überlebenswichtiger Prominenz. Und einige wichtige Werke, die in Schubladen von Übersetzern schlummerten oder an deren Publikation sich Verlage bislang nicht gewagt hatten, gelangen nur aufgrund solcher Anlässe an die Öffentlichkeit.

Vielstimmiges, in sich widersprüchliches Land

Aufrüttelnde Veranstaltungen werden indes im nicht-offiziellen Rahmen stattfinden: im Internationalen Zentrum, in diversen Foren und im Rahmenprogramm, organisiert von Verbänden und Verlagen. Taiwan beispielsweise, von den Medien und der Messe gleichermaßen ignoriert, wird unter anderem vertreten sein durch die taiwanische Bestsellerautorin Jade Chen, die in ihrem raffiniert montierten Familienroman „Die Insel der Göttin“ die vielfach überlagerte Geschichte Taiwans aufarbeitet.

Zudem organisiert die Taipei Book Fair Foundation etliche Diskussionen zur Vielfalt der taiwanischen Literatur. Autoren, die nicht mehr in China leben, sind zahlreich und öffentlichwirksam vertreten, wie beispielsweise Ma Jian auf dem Blauen Sofa. Die China-Reihe im Internationalen Zentrum wird eröffnet mit einer Diskussion über die Freiheit des Wortes. Der Sonntag dürfte besonders spannend werden, wenn Rebiya Kadeer – die Präsidentin des Weltkongresses der Uiguren – spricht und in einem weiteren Forum die in China verbotene Literatur Tibets vorgestellt wird.

All diese Veranstaltungen – die „offiziellen“ eingeschlossen – tragen dazu bei, dass ein vielstimmiges, in sich widersprüchliches Land präsentiert wird, das keinesfalls so monolithisch und harmonisch unter Pekings Dach vereint ist, wie es die chinesische Regierung uns bei dieser Kultur-Olympiade gerne glauben machen möchte.

Alice Grünfelder

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