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Abu Ghraib: Behandelt sie wie Hunde

Wir haben die Bilder von Abu Ghraib gesehen und waren geschockt. Wollen wir es noch genauer wissen? Wir sollten wohl, um nicht zu verdrängen, wozu Menschen unter extremen Umständen fähig sind. Philip Gourevitch und Errol Morris erzählen eindrucksvoll die Geschichte von Abu Ghraib.

Amerika, das vom Terror des 11. September heimgesuchte Land, weiß spätestens seit Vietnam, wozu Menschen unter Umständen fähig sind. Und es besitzt Journalisten und Dokumentaristen wie Philip Gourevitch und Errol Morris, die zur Stelle sind, wenn wieder geschieht, was nie mehr geschehen sollte. Für seinen Film über Abu Ghraib „S.O.P.: Standard Operating Procedure“ erhielt Morris 2008 den Großen Preis der Berlinale-Jury. Die Interviews und Dokumente, die er dafür zusammengetragen hat, bilden die Grundlage für den vorliegenden Bericht, den Philip Gourevitch niedergeschrieben hat. Die „New York Times“ nennt ihn schlichtweg bewundernswert, und das ist er auch dann, wenn das Grauen der Fakten sogar die Brillanz ihrer Darstellung schlägt.

Abu Ghraib war die Hölle, bereits bevor dort Amerikaner ankamen und Saddam Husseins Staatsgefängnis in Besitz nahmen. Saddams Gefängnisse, schreibt Gourevitch, waren „Fabriken des Terrors und der Vernichtung, hatten den Rückhalt seiner Macht gebildet. Schon wer ein Huhn oder eine Flasche Shampoo stahl, konnte jahrelang darin verschwinden, doch bei – wirklich oder angeblich verübten – Staatsverbrechen drohte endlose Folter. In der 30 Kilometer westlich von Bagdad gelegenen Haftanstalt Abu Ghraib fanden mittwochs und sonntags die Hinrichtungen statt. Nicht selten endeten dort pro Woche hundert Insassen am Galgen, und wenn man bei akuter Überfüllung Platz für Neue brauchte, mussten die Henker Überstunden machen.“

Die Amerikaner, die in Bagdad einzogen, fanden Abu Ghraib leer. Nach einer von Saddam eilig verkündeten Amnestie hatten Häftlinge und Wachpersonal das Gefängnis verlassen und verwüstet. In den von Beschuss beschädigten Mauern schlugen die Sieger ein Militärgefangenenlager auf, bevor sie daran gingen, den Strafvollzug nach amerikanischem Muster zu reformieren Zwei leitende Beamte der Gefängnisbehörde von Utah wurden mit der Ausstattung beauftragt – zum Beispiel Stockbetten für Zellen, in denen Saddams Gefangene auf dem Steinfußboden geschlafen hatten, sanitäre Einrichtungen, ein Gefängniskrankenhaus, eine neue Küche und selbst Gebetsteppiche für die muslimischen Gefangenen. Eine – die erste irakische – Strafvollzugsakademie wurde gegründet, um irakische Beamte für einen humanitären Strafvollzug zu qualifizieren.

Als die Zivilberater abzogen, war das Zeltlager in Abu Ghraib schon auf doppelte und dreifache Größe angewachsen. Die Bewacher waren Militärpolizisten, kein ausgebildetes Gefängnispersonal. Täglich kamen neue Gefangene hinzu, die bei den durchschnittlich zweitausend Patrouillen pro Tag oft willkürlich genug verhaftet wurden. Die meisten von ihnen waren keine Kriegsgefangenen, sondern aus amerikanischer Sicht „ungesetzliche Kombattanten“ und rechtlose „Sicherheitshäftlinge“, die wie in Guantanamo auf unbegrenzte Zeit und ohne Zugang zu Rechtsmitteln einsaßen.

Die Einzelzellen des ersten Blocks unterstanden der alleinigen Aufsicht der Militärpolizei, für irakische Polizisten oder Vollzugspersonal war der Zutritt verboten. Zu diesem Zeitpunkt traf auch der Kommandeur von Guantanamo Generalmajor Miller im Irak ein, um „schnell verwertbare Informationen aus den Internierten herauszuholen“. Im Ergebnis wurde Abu Ghraib zum zentralen Verhörzentrum des Militärnachrichtendienstes im Irak. Dessen Verhörspezialisten waren praktisch Herren des Verfahrens und konnten die Militärpolizei anweisen, die Häftlinge nach ihren Verhörmethoden zu behandeln. Schriftlich vermerkte Miller in seinem Bericht über Abu Ghraib dazu: „Entscheidend ist, dass die Wachtruppe aktiv dabei mitwirkt, günstige Bedingungen für die erfolgreiche Nutzung der Insassen zu schaffen.“ Mündlich wies er die Wärter an: „Sie müssen die Gefangenen behandeln wie Hunde.“

Dass dies wortwörtlich befolgt wurde, zeigen die unsäglichen Aufnahmen, die später in die Öffentlichkeit gelangten und den Skandal um Abu Ghraib auslösten; darunter jene Szene, in der ein Gefangener an einem Halsband aus seiner Zelle gezerrt wurde. Auch wurden Gefangene nicht nur „wie Hunde“, sondern auch von Hunden traktiert, da den Verhörern bekannt war, dass Hunde den größten Abscheu bei islamischen Häftlingen erregten. Das Gleiche galt für demütigende Nacktheit und die Nötigung männlicher Gefangener, Frauenschlüpfer zu tragen.

Gourevitch und Morris zitieren aus einer Anfrage des Weißen Hauses an das Justizministerium, wie weit Verhörmethoden im Antiterrorkampf gehen dürften, ohne die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen zu verletzen. Die Antwort des Stellvertretenden Generalbundesanwalts besagte im Wesentlichen, „dass man sich keine Sorgen machen müsse“: Als Folter seien nur äußerste Gewaltanwendung, schwere Verletzungen oder Todesqualen zu betrachten.

Tatsächlich genehmigte das Verteidigungsministerium im Dezember 2002 Verhöre in Stresspositionen, zeitlich begrenzte Einzelhaft, Kleidungsentzug, Zwanzigstundenverhöre, Zwangsrasuren und Einschüchterung mit Hunden. Dass einige Vorgänge selbst darüber noch hinausgingen, schreiben die Autoren dem regelwidrigen und weitgehend unkontrollierten Regime des Gefängnispersonals zu, das im Übrigen ohne Uniform und Rangabzeichen anonym agieren konnte.

Aus welchen Motiven die berüchtigten Aufnahmen sadistischer Exzesse durch die beteiligten Armeeangehörigen – darunter blutjunge Frauen wie die später verurteilten Lynndie England und Sabrina Harman – erfolgten, lässt sich aus ihren Aussagen, Briefen und Aufzeichnungen erahnen, die das Buch in Auszügen wiedergibt. Sie waren auch Gegenstand der Strafverfahren, die schließlich doch stattfanden, nachdem sich die Beteiligten zerstritten und die mehrstündigen Videoaufnahmen der Militärstrafverfolgungsdivision übergeben hatten. Dass sie überhaupt – mit relativ milden Urteilen – stattfanden, zeigt immerhin den Unterschied zu Folterstaaten ohne Öffentlichkeit und Gewaltenteilung wie dem Regime Saddams selbst. Aber das schafft das Grauen von Abu Ghraib unter US-Regie nicht aus der Welt. Wer sich die schlimmsten Details ersparen will, muss dieses Buch nicht lesen. Wer sie erträgt, sollte es lesen.
 
Philip Gourevitch und Errol Morris: Die Geschichte von Abu Ghraib. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl, Carl Hanser Verlag, München 2009, 300 Seiten, 19,90 Euro.

Hannes Schwenger

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