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Literatur: Am schönsten ist es doch daheim

Man sieht sie nicht so gerne, leben sie doch meistens von unseren Abfällen, und in vielen Bilderwitzen springen die Frauen kreischend auf den Stuhl. Mäuse sind merkwürdige Tiere, man mag sie nicht, aber irgendwie sehen sie auch wieder putzig aus.

Man sieht sie nicht so gerne, leben sie doch meistens von unseren Abfällen, und in vielen Bilderwitzen springen die Frauen kreischend auf den Stuhl. Mäuse sind merkwürdige Tiere, man mag sie nicht, aber irgendwie sehen sie auch wieder putzig aus. Und so stellen sich immer wieder Autoren und Illustratoren dem Thema Maus. Bekannt ist die Fabel von der Landmaus und der Stadtmaus, die schon Äsop und Horaz zu eigenen Texten inspiriert hat. Auch wurde diese Fabel später in Bilderbüchern aufgegriffen.

Katrin Schärer hat es gereizt, diesem Stoff eine adäquate Fassung zu geben. Bei ihrem Bilderbuch „Die Stadtmaus und die Landmaus“ eilt die vorwitzige Stadtmaus auf dem Dach eines ICE aufs flache Land, um die Landmaus zu besuchen. Die freut sich natürlich und präsentiert voller Stolz das aufregende Leben auf dem Lande, wo einem schon einmal im Kuhstall ordentlich etwas Übelriechendes auf den Kopf pladdern kann. Die Gerüche sind fremd, die Tiere groß und manchmal aggressiv, aber die Nacht unter dem Sternenhimmel ist für die Stadtmaus eine großartige Erfahrung. Natürlich darf sie sich auch satt essen, wenngleich die Landmaus sich den Vorrat für schlechte Zeiten zugelegt hat, aber sie teilt. Schärer erzählt die Geschichte mit wenigen, treffenden Sätzen wie: „Bei euch kommt die Sonne aus dem Boden. Bei uns steigt sie aus dem großen Hochhaus.“

Natürlich darf der Gegenbesuch in dieser ebenfalls exotischen Welt nicht fehlen, und so fahren die beiden Mäuse mit einem Rübentransport in die große Stadt mit ihren Häusern, Eisenbahnen und der ganzen Hektik. Wurde die Stadtmaus noch vom Hahn über den Hof gejagt, ängstigt sich jetzt die Landmaus vor dem rasenden Skateboardfahrer. Lärm und Gestank, Räder, die rollen, Menschen, die hetzen, gefährlich spitze Absätze, die auf den Boden klackern, all das scheint der Landmaus äußerst bedrohlich. Zwar gibt es hier auch zu fressen, in Hülle und Fülle sogar, doch die Gerüche des Abfalls, die alten Pommes, die Apfel- und sonstigen Essensreste sind nicht unbedingt einladend, aber man wird mehr als satt. Und die Stadtmäuse sind auch nette Gastgeber. Aber die Stadtmaus zeigt ihrer Freundin vom Lande auch die schönen Seiten, die Lichter der Großstadt. Hier hat Katrin Schärer in das Dunkel der Nacht einen vierfachen Micky-Maus-Andy-Warhol als bunte Plakatwand in Szene gesetzt. Neben dem witzigen und liebevollen Text bestechen vor allem die kühnen Illustrationen Katrin Schärers, die gerne mit ungewöhnlichen Formaten, Detailbildern, Nahaufnahmen und Breitwandszenarien spielt. Sie wechselt dabei zwischen detaillierter Ausarbeitung und einem mit nur wenigen Strichen angedeuteten Hintergrund.

Gerade im Skizzenhaften des Hintergrunds lässt sich ihr zeichnerisches Talent erkennen. Man hört förmlich die Menschen hasten und die Räder der Koffertrollys über das Pflaster rollen. Manchmal sind, vor allem in der Stadt, die Menschen nur große, bedrohliche schwarze Silhouetten. Aber trotz aller Hektik gibt es auch in der Stadt poetische Elemente, etwa am Fluss, wo im Morgennebel alles grau in grau erscheint und der Lastkahn über den Fluss tuckert. Katrin Schärer gibt keiner der beiden Welten den Vorzug, wie es noch die antiken Dichter taten. Sie zeigt jede Welt mit ihren Sonnen- und Schattenseiten, die für den jeweils anderen attraktiv oder erschreckend sind. Unterschiede machen neugierig, und so verabreden sich die Mäuse zum nächsten Besuch. Eine Regelung, mit der auch Stadt- und Landkinder gut leben können. Rolf Brockschmidt

Kathrin Schärer: Die Stadtmaus und die Landmaus. Patmos Verlag, Sauerländer, Düsseldorf 2008. 32 Seiten, 13,90 Euro. Ab drei Jahren.

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