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Literatur: Auf den Galeeren der Riemenschlag

Nachzeichnung eines Umbruchs: Eckehard Eickhoff über den Widerstand Europas gegen die Osmanen

Man kennt die Seeschlachten von den Bildern in den venezianischen Palästen: ein wildes Getümmel von Schiffen und Soldaten, flatternden Fahnen und dem Qualm der Kanonen. Wenn Eckehard Eickhoff sie beschreibt, gewinnen die martialischen Stillleben ein faszinierendes Leben. Dann legen sich die Flaggschiffe „in eleganter Wendung schräg zur Marschrichtung, um ihre Breitseiten auf die ersten in Schussweite kommenden Gegner zu richten“, verschärft sich „mit Kettenrasseln und Keuchen … auf den Galeeren der Riemenschlag“, wird der „Fahnenaltar“ gehisst.

Über das Ereignis hinaus, dem sie gewidmet ist – der Schlacht von Naxos 1651, mitten in der Inselwelt der Ägäis –, ist die farbige Schilderung ein nicht unwichtiges Element der Darstellung der Geschichte des Mittelmeerraums und Südosteuropas in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die der Historiker und Diplomat geschrieben hat. Denn sie lässt den heißen Atem des Geschehens hineinwehen in diese Epoche, die für das deutsche Geschichtsbild – irgendwo, irgendwie – am Rande des Dreißigjährigen Krieges liegt. Und sie stützt so Eickhoffs Absicht, den Blick auf das Schicksal dieses Raumes zu lenken, das sich selbst als ein gewaltiges, verwirrendes Getümmel darbietet – Kriege und Machtkämpfe sonder Zahl, Bündnisse und Gegnerschaften, wagemutige Feldherren und machiavellistische Staatspersonen. Eickhoff hat das Buch vor vierzig Jahren geschrieben. Auf den Stand der Forschung und der heutigen Sicht der Historie gebracht, rückt er das Thema nun vor die Zeugen weltpolitischer Umwälzungen, neuen Balkankrieg und des Streits um das Verhältnis Europas zur Türkei.

Die Hauptkoordinate dieser Geschichte ist das Ringen mit dem osmanischen Druck auf Europa. Ein Vierteljahrhundert lang trägt Venedig die Hauptlast. Im „großen Türkenkrieg“ bricht dann mit der Befreiung Wiens 1683 ein großes europäisches Bündnis den türkischen Ansturm – „eine der größten Wendungen in der Geschichte des östlichen Mitteleuropas“. Doch zugleich steht Ungarn gegen Habsburg auf, stößt das Frankreich Ludwig XIV. zum Rhein vor, bekämpfen sich Kosaken und Polen. Die Konflikte vernetzen sich, werden mühsam durch diplomatische Manöver und Friedensschlüsse gebändigt, um andernorts wieder aufzubrechen. Mit seinen Haupt- und Staatsaktionen, Aufständen und strategischen politischen Zügen durchknetet dieses Halbjahrhundert Europa: ein Schauspiel, in dem sich Kriege und Feste, barocker Glanz und das Elend der kriegsverwüsteten Landschaften mischen. Während sich hinter dessen pittoresken Zügen schon eine Art erster Globalisierung und der nahenden Aufstieg der Nationalstaaten abzeichnen.

Konsequent summiert sich das bei Eickhoff zur Nachzeichnung eines großen Umbruchs. Er bestimmt die Geschichte dieses Teils Europas bis nahe an das Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Denn so sehr sich der Autor in die einzelnen Züge des Geschehens versenkt – einschließlich der Lust am kulturgeschichtlichen Dekor, der historischen Anekdote und dem Charakterbild –, so offenkundig ist, dass es ein Zeitgenosse unserer Gegenwart ist, der diese Geschichte geschrieben hat. Aus der Fülle der Ereignisse treten die großen Perspektiven hervor: der Wandel des Machtgefüges Europas, die Verlagerung der Zonen der Entscheidung aus dem Mittelmeer in den Donauraum, die Ausbildung jener Grenzen, in denen die Geschichte in Ostmitteleuropa dann über mehr als ein Jahrhundert verlaufen wird. Das alles gehört als Geschehen späteren Zeitläuften an, aber man begreift zum Beispiel, weshalb gerade Südosteuropa bis zur Gegenwart eine Zone der Brüche und der Erschütterung ist.

Einen Hauch der Faszination dieser Epoche spürt der passionierte Nachzeichner der versunkenen barocken Welt Venedigs und Südosteuropas sogar noch an der Schwelle der Moderne auf. Und trifft es nicht zu, dass die Metaphorik der Galeeren, die damals ihre letzten großen Schlachten schlagen, der hochfahrenden Haltung der adligen Kommandeure und des Elends der angeketteten Ruderer noch im Wien des Fin de Siècle ihren hoch sublimierten Nachhall findet? Eickhoff entdeckt den Beleg in Hofmannsthals Versen: „Manche freilich müssen drunten sterben,/ wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,/ Andere wohnen bei den Sternen droben,/ Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.“





– Ekkehard Eickhoff:
Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch

in Südosteuropa 1645-1700. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 464 Seiten, 29,50 Euro.

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