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Bachmann-Preis: Die Siegerfindung wird schwer

Die Literatur steht im Mittelpunkt, eine Seltenheit im Fernsehen, ihr entkommt man hier nirgendwo.

Das Fernsehen ist allgegenwärtig in den Räumen des Klagenfurter ORF-Theaters und auch davor, in der Gartenanlage, wo sich der deutschprachige Literaturbetrieb in den Pausen trifft, die Texte diskutiert und die ersten Biere getrunken und die ersten Bratwürste gegessen werden. Überall gibt es Monitore, auf denen die Lesungen der Autoren und Autorinnen bei diesem 33. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb flimmern: rechts und links vom Eingang, in dem Zelt, das zur gastronomischen Versorgung aufgebaut worden ist, im Café in einem der Seitengänge des Theaters, dort im Raucher- wie im Nichtraucherbereich. Und vor allen sammelt sich das professionelle und interessierte Publikum, weil drinnen, wo die Live-Atmosphäre herrscht, schon früh alle Plätze besetzt sind.

Die Literatur steht im Mittelpunkt, eine Seltenheit im Fernsehen, ihr entkommt man hier nirgendwo, (und was soll man auch sonst in Klagenfurt?). Erfährt man bei den Lesungen nur, wie die Autoren aussehen, wie sie lesen und was sie lesen, so gehen die unvermeidlichen Fernsehporträts vor den Lesungen weit darüber hinaus und bieten Einblicke in die Jungschriftstellerleben. Jens Petersen fährt einen weißen Saab Cabrio und lebt irgendwo über den Dächern von Zürich, Karl Gustav-Ruch ist mit einer Spanierin zusammen und wohnt in Barcelona, Gregor Sander überrascht damit, Berlin so faszinierend zu finden, weil es soviel Abwechslung in den Straßen präsentiere. (Au ja!) Manche der Autoren lassen sich nur in Cafés interviewen, um über ihr Schreiben zu plaudern, manche  sind zuhause zu erleben (wo eigentlich immer ein Apple-Computer steht), und bisweilen sagen sie auch hübsche Sachen, so wie Ralf Bönt: „Als Künstler hat man die Möglichkeit, Wut und Zärtlichkeit miteinander zu verbinden. Jeder Tag, an dem mir das gelingt, ist ein guter.“.

Man kann diese Porträts öde wie sonst was finden, gerade ihre fast immer gleiche Machart nervt, ihre Musik, mit denen sie unterlegt sind, Sätze aus dem Off wie: „Andrea Winkler hält die Menschen gern auf Distanz, was nicht heißt, dass sie misantropisch wäre.“ Doch wenn die Autoren die Sache selbst in die Hand nehmen, kann das genauso fürchterlich daneben gehen. So wie bei Christiane Neudecker, die ihren Auftritt als Boxkampf inszeniert hat, mit dem ZDF-Sportmann René Hiepen als Moderator, mit Interviews vor einem Punching-Ball, die Hiepen mit Neudecker- Betreuern führt, mit Einfällen, wie „Wir fragen jetzt mal Vitali Ranicki“. Allein dafür hätte Neudecker es verdient, keinen Preis zu gewinnen. 

Anonsten lassen sich bei diesem Wettbewerb immer wieder unvermutete, überraschende Verbindungen herstellen: Spinnen erzählt bei der Diskussion über Andreas Schäfers Text, in dem ein fünfzehnjähriger Junge namens Jakob ermordet wird, dass er auch einen Sohn habe, der 15 Jahre alt ist und Jakob heißt. Gregor Sander freut sich in seinem Filmporträt darüber, sich als Schriftsteller immer in andere in Berufsgruppen verwandeln zu können, „in Schlosser, Tischler oder Piloten“: Andreas Schäfer hatte am Vortag einen Piloten als Hauptfigur. Und Paul Jandl bekennt am Samstag, dem dritten Lesetag, sich bei der Beurteilung von Jens Petersens Text geirrt zu haben: „Das war kein Kitsch, ich habe ihn nochmal gelesen, das ist ein sehr, sehr guter Text.“ Und lobt dann Gregor Sander, der mit „Winterfisch“ „einen schönen, stimmungsvollen Text“ vorgelegt habe.

Tatsächlich überzeugt Sander und schwingt sich an diesem Samstagvormittag zu einem der Favoriten auf, mit einer Ost-Westgeschichte über die Schicksale von drei Männern zwischen Güstrow und Kiel -  auch wenn sich hier wieder tiefe Gräben in der Jury auftun, selbst in der Beurteilung des schriftstellerischen Handwerks. Feßmann vermisst dieses bei Sander erstaunlicherweise, weil er Präsens und Vergangenheit vermische, weil er schreibt: „‘ Verschlaf´ nicht mein Jung‘, rief er mir hinterher, an die Tür gelehnt, angetrunken und achtzig Jahre alt.“ (??) Karin Fleischanderl lobt dagegen Sanders handwerkliche Perfektion und setzt sich später für einen schlimmen Ich-Text der Österreicherin Andrea Winkler ein, der im folgenden die Frage aufwirft, wieviel Welt die Literatur abbilden und wieviel sie selbst herstellen solle. Winklers Text jedenfalls besteht nur aus Form, einen Stoff hat er nicht, außer ein Ich, für das es wichtiger ist, das Wort „Hand“ zu sprechen und die Wirklichkeit dieses Wortes zu spüren, als mit dieser Hand im richtigen Leben auch was zu machen.

Nach der zwiespältigen und kontrovers diskutierten Lesung von Katharina Born, platziert sich die einzige wirkliche Debütantin, Caterina Satanik, mit einem leichten, eher dahin geplauderten und witzigen Text in den vorderen Rängen. Trotzdem dürfte es mit der Siegerfindung am Sonntag bei diesem nicht gerade herausragenden Jahrgang des Bachmannlesens schwer werden. Denn einheitlich gefeiert wurde kein Autor, und so wie Karin Fleischanderl ihre Kandidatinnen Linda Stift und Andrea Winkler verteidigte, scheint die Jury für jede - auch unangenehme Überraschung - gut zu sein. Trotzdem müssten Jens Petersen, Gregor Sander und vielleicht auch Ralf Bönt, Andreas Schäfer und Caterina Satanik nach Lage der Diskussion zu den fünf Preisträgern  (inklusive dem Publikumspreis) gehören. Wobei es zu den Eigentümlichkeiten dieses Wettbewerb gehört, dass bei den Mehrheitsentscheidungen selbst einer der Favoriten ganz leer ausgehen kann - so wie 2006 Clemens Meyer, 2007 Jochen Schmidt oder im vergangenen Jahr Ulf Erdmann Ziegler.

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