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Buchmarkt: "Harry Potter" 250.000 Mal illegal im Internet

Digitale Raubkopien machen nicht nur der Musik- und der Filmindustrie zu schaffen, auch die Buchverlage sind betroffen. Im Internet herrscht ein reger Austausch von urheberrechtlich geschützten Büchern und Hörspielen.

Wer das Stichwort Raubkopien hört, denkt fast immer sofort an kopierte und gebrannte CDs oder illegal aus dem Internet heruntergeladene Filme. Doch auch die Literatur und damit die Verlagsbranche ist betroffen. "Wir gehen davon aus, dass das Problem künftig massiv zunehmen wird", sagt die Geschäftsführerin des Verlegerausschusses im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Gudrun Bolduan, im Interview.

Mehr illegale Kopien als verkaufte Exemplare

Laut dem Münchner Rechtsanwalt Björn Frommer, Experte für Urheberrecht und Mitglied der Arbeitsgruppe Piraterie im Börsenverein, sind Hörbücher besonders betroffen. So sei "Harry Potter und der Halbblutprinz" seit September 2006 mit rund 250.000 Anbietern illegal in den beiden Tauschbörsen BitTorrent und eDonkey aufgetaucht. "Auf solche Verkaufszahlen muss man erstmal kommen", sagt Frommer.

Hinzu komme der Lawinen-Effekt der Tauschbörsen: Jede heruntergeladene Datei werde automatisch zur Vorlage für unzählige weitere Kopien: "Die Zahl neuer Angebote des identischen Werkes erhöht sich somit innerhalb kürzester Zeit explosionsartig."

Die Sprecherin des Münchner Hörverlags, Heike Völker-Sieber, verweist zudem darauf, dass zwar die Zahl der illegalen Anbieter zu ermitteln sei, nicht aber die Zahl der Downloads. "Wenn sich bei jedem Anbieter nur fünf User bedienen würden - und es sind garantiert wesentlich mehr - kommt dabei eine erschreckende Zahl heraus."

Mit einem iPod für Bücher wird der Markt explodieren

Aber nicht nur Hörbücher trifft es: Als elektronische Printversion wurde "Eine Billion Dollar" (2001) von Bestsellerautor Andreas Eschbach nach Angaben von Frommer innerhalb weniger Monate von knapp 35.000 Anbietern ins Netz gestellt. Neben Belletristik verzeichneten auch populärwissenschaftliche Werke hohe Anbieterzahlen. Frommer prophezeit: "In naher Zukunft werden die Angebote für E-Books explodieren. Hierzu bedarf es nur eines etwa dem iPod vergleichbaren Lesegerätes."

Viele kleinere Verlage hätten dies möglicherweise noch nicht in vollem Ausmaß realisiert. Noch sei Piraterie bei Büchern mit Blick auf die Verkaufszahlen noch nicht so ein großes Thema wie bei Hörbüchern. Illegale E-Books ins Internet zu stellen, sei jedoch "kinderleicht" und "in Sekunden" machbar: Dem Experten zufolge reicht ein vergleichsweise einfacher Scanner, und das E-Book ist vom Original nicht zu unterscheiden.

Bolduan plädiert daher für eine noch stärkere Aufklärung der Bürger: "Man muss bewusst machen, dass man für Texte auch bezahlen muss." Der Börsenverein gehört zu einer Reihe von Verbänden, die jüngst in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert hatten, den Schutz kultureller Werke in der digitalen Welt zur Chefsache zu machen. In dem Schreiben wird auf Initiativen in Frankreich und England verwiesen: Dort erhielten Internetnutzer bei Urheberrechtsverletzungen Warnhinweise. Wenn sie diese nicht beachteten, würden ihre Anschlüsse zeitweilig gekappt.

Raubkopierer sind potenzielle Kunden

Auf Verständnis und Dialog setzen die Paul Pietsch Verlage in Stuttgart. In bis zu 25 Prozent der Fälle gelingt es dem Verlag, einen Urheberrechtsverletzer zu ermitteln. Dieser wird persönlich angeschrieben, auf sein Unrecht und die Konsequenzen hingewiesen und darum gebeten, dies künftig zu unterlassen. Die Chefin des Ratgeberverlages, Patricia Scholten, sagt: "Mit den meisten können Sie ins Gespräch kommen, das sind keine Kriminellen." Der Verlag wolle nicht unbedingt gerichtlich gegen die Raubkopierer vorgehen. Schließlich seien diese ja "Interessenten unserer Bücher".

Die Paul Pietsch Verlage sind laut Scholten noch von Raubkopien in gedruckter Form betroffen: Sachbücher, besonders die mit technischen Reparaturanleitungen, werden bis auf den Schutzumschlag originalgetreu kopiert und bei Messen und Veranstaltungen verkauft. Von den 1000 bis 1200 lieferbaren Titeln des Verlages kursieren rund ein Drittel als Raubkopie. Dem Verlag entgehen dadurch nach eigenen Schätzungen etwa zehn Prozent Umsatz - und den Autoren ihr Honorar für die Urheberrechte.

Nach Aussage von Völker-Sieber vom Hörverlag bringen die finanziellen Schäden auch die Realisierung ambitionierter und aufwendiger Produktionen auf längere Sicht in Gefahr. Diese würden in der Regel durch gewinnbringende Bestseller mitfinanziert. Gelinge diese Mischkalkulation aufgrund des Piraterieproblems nicht mehr, "werden bestimmte Hörbücher künftig möglicherweise nicht mehr entstehen können".

Nadine Emmerich[ddp]

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