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Leipziger Buchpreis an Karl Schlögel

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Buchmessen-Eröffnung: Unpathetisch, ungezwungen - und ein bisschen peinlich

Die Leipziger Buchmesse begann mit schweigendem Gedenken an die Opfer des Amoklaufs von Winnenden. Dann ging es um digitalisierte Bücher und um Ost und West - aber kein bisschen um die Wirtschaftskrise.

Es war ein ungewöhnlich selbstironischer Spruch, den sich der sächsische Staatsminister Johannes Beermann bei der Eröffnungsfeier der Leipziger Buchmesse überlegt hatte: „Die Schwester der Erwartung ist die Enttäuschung“ erklärte er seine Anwesenheit anstelle des durch politische Tagesgeschäfte verhinderten sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt. Doch passte nicht zuletzt diese Ungezwungenheit zum Charakter dieser Eröffnungsfeier, die alles andere als eine Enttäuschung war, die erstaunlich wenig Pathetisch-Weihevolles hatte, die beschwingt war, ernst und stringent, sich vor allem aber nicht der Aktualiät verschloss.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung bat in seiner Ansprache das Auditorium, sich zu erheben und der Opfer des Amoklaufs im baden-würtembergischen Winneden einen Moment schweigend zu gedenken. Er konnte es sich dann allerdings nicht verkneifen, und das war der einzige peinliche Moment des Abends, die Bücher, die Literatur als mögliches Bollwerk gegen Taten wie diese zu betrachten (was im übrigen später am Abend den Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler zu der Bemerkung veranlassen sollte, die beiden jugendlichen Amokläufer im amerikanischen Columbine hätten seinerzeit Nietzsche und den „Erlkönig“ gelesen).

Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder mochte sich dagegen gar nicht lange mit dem besonderen inhaltlichen Wert von Büchern und der „Kraft der Worte“ beschäftigen, sondern ging in seiner Rede bemerkenswert offensiv auf die Digitalisierung der Buchwelt und den Prozess in Schweden gegen die Internetplatform „Pirate Bay“ ein. Er forderte von der Politik „eine richtungsweisende Entscheidung für den Umgang mit geistigem Eigentum“, konnte aber selbst nicht so genau sagen, wie die aussehen sollte. Was er sagte, war alles richtig, doch zündende Ideen, wie man den Satz der schwedischen Raubkopierer, „Es war schon immer schwer, Künstler zu sein“ tatkräftige begegnet, hatte Honnefelder nicht.

Karl Schlögels Liebeserklärung an Russland

An dem Historiker Karl Schlögel, der an diesem Abend für sein Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ den Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt, und seinem langjährigen Freund und Laudator Jens Reich, war es dann zu erklären, - der Leipziger Dauerbrenner gewissermaßen -  dass die gesamteuropäische Identität mindestens zur Hälfte auch im Osten Europas liege, dass Ost und West unweigerlich zusammengehörten  -  auch wenn das nicht immer so aussehen mag, auch wenn schon Goethe ein absonderliches Treffen mit zwei schweigenden, des Deutschen nicht mächtigen Russen gehabt hatte und ihnen dann eine Lobrede auf die Vereinigten Staaten von Amerika hielt, wie Reich amüsant darlegte.

Schlögel hielt seinerseits eine Lobrede auf die russische Intelligenzia und ihre Tugenden wie Hingabe, Verzicht und Opferbereitschaft. Und er gab seiner Bewunderung für das russische Volk Ausdruck, das auch nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems nicht in Panik verfallen sei und sich selbst zu helfen gewusst hätte, unabhängig von einer neuen und mitunter korrupten politischen Elite. Vor dem Hintergrund des Jahres 1937, seinem Buch über den stalinistischen Terror und die zurselben Zeit blühende russische Moderne, hatte Schlögels Rede viel von einer Liebeserklärung an Russland. Deren Worte hallten noch nach, als sich die Gäste der Eröffnungsfeier ins Foyer des Gewandhauses begaben und sich an das wie gewohnt reichhaltige Buffet machten. Und was hier noch auffiel: Von der großen Wirtschaftskrise war an diesem Abend nicht einmal die Rede gewesen.

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