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Buchvorstellung: Mit Pop und Prophet

„Ich bin Muslim, und das ist hip!“: Das neue Selbstbewusstsein islamischer Jugendlicher. In ihrem Buch geht Julia Gerlach dem Phänomen einer neuen Jugendkultur nach.

Sie heißen Mimoun oder Saloua und sind deutsche Muslime. Die jungen Männer tragen Designerbrillen und Klamotten vom Feinsten, die Kinn- und Backenbärte sind modisch gestutzt. Raffiniert arrangierte Kopftücher aus edlen Stoffen dagegen sind die Markenzeichen der jungen Frauen. Viele haben das Abitur geschafft und sind mitten im Studium. In Gruppen wie „Lifemakers“ oder in einer „Islam AG“ an der Universität wollen sie ihre islamische Identität stärken und mit dazu beitragen, das oft von negativen Stereotypen überlagerte Image des Islams in Deutschland zu verbessern. „Pop-Muslime“ hat die Journalistin Julia Gerlach dieses Phänomen getauft. „Es hat sich unter Muslimen in Deutschland eine neue Jugendkultur entwickelt, in der es keinen Widerspruch darstellt, fromme Gläubige und gute Bundesbürger zu sein. Sie engagieren sich, wollen die Gesellschaft mitgestalten“, schreibt sie.

In ihrem Buch präsentiert Gerlach diese bunte und vielfältige muslimische Jugendszene und lässt einige ihrer Repräsentanten und Mitglieder zu Wort kommen. Ihre Idole sind die zahlreichen Fernsehprediger und Sänger aus der arabischen Welt, die ihre Botschaften via Satellitenfernsehen auch bis nach Europa verbreiten. In Liedern und TV-Shows fordern sie die Jugendlichen dazu auf, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und die Initiative zu ergreifen, sich dabei aber immer strikt an die Scharia zu halten, die islamischen Vorstellungen von dem, was Recht ist. Terror, Zwangsehen und Ehrenmorde werden als unvereinbar mit dem Islam abgelehnt.

So weit, so gut, möchte man meinen. Doch irgendwie ist der Begriff „Pop-Islam“ ein wenig irritierend. Die Autorin definiert diesen als einen „Remix der Lebensstile“, in dem westliche Mode, Musik und TV-Kultur von den jungen Muslimen in Deutschland aufgegriffen werden, aber unter „islamischen Vorzeichen“. Und das bedeutet strikte Geschlechtertrennung und die absolute Vorrangstellung des Islam vor allen weltlichen Gesetzen und Moralvorstellungen. Genau das assoziiert man aber nicht wirklich mit dem Begriff „Pop“.

"Pop-Muslime" mit strikter Geschlechtertrennung

Außerdem gilt unter den „Pop-Muslimen“ Scheich Jusuf al Qaradawi als eine der höchsten Autoritäten in Sachen Rechtsfragen und islamischer Moral. Der über 80-jährige Rechtsgelehrte aus Ägypten ist der Haus- und Hofprediger des TV-Senders Al Dschasira und steht ebenfalls hinter dem Internet-Portal Islamonline. Zwar gilt er als Gegner des islamistischen Terrors, hat aber keine Probleme mit den palästinensischen Selbstmordattentätern, die sich in israelischen Einkaufszentren in die Luft sprengen. Das ist für ihn nämlich reine „Selbstverteidigung“. Gerlach weist immerhin auf diesen Widerspruch hin, schreibt über den TV-Scheich in diesem Kontext jedoch allen Ernstes auch Folgendes: „Außerdem wird er seiner Rolle als Fürsprecher der Rechte der Frau gerecht: Frauen, die ihr Leben für den Kampf gegen die israelische Besatzung opferten, nennt er die neuen Heldinnen der islamischen Umma.“ Kein Wunder, dass sie den Karikaturenstreit als primitive Provokation einiger dänischer Journalisten deutet, der nichts mehr mit Pressefreiheit zu tun habe.

Es ist denn auch diese merkwürdige Uneindeutigkeit, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht und einen üblen Beigeschmack hinterlässt. Zum einen klärt Gerlach darüber auf, dass die Wurzeln von „Lifemakers“ & Co. in der radikal-islamistischen Szene wie der ägyptischen Muslimbruderschaft zu suchen sind und sich viele ihrer „Pop-Muslime“ im organisatorischen Umfeld von Gruppen wie Milli Görüs bewegen, die in einigen Bundesländern unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Zum anderen aber plädiert sie für den Dialog mit genau diesen pauschal zu „Pop-Muslimen“ verklärten Jugendlichen, um deren Abdriften in die Radikalität zu verhindern. Mit einigem Erstaunen liest man dann Sätze wie: „Die Nähe zu den Ideen der Muslimbruderschaft braucht nicht automatisch ein K.-o.-Kriterium zu sein, wenn es um die Vergabe öffentlicher Mittel geht. Es ist vielmehr geboten, genau nachzufragen, auf welche Strömung innerhalb der Bruderschaft sich die Organisation bezieht.“

Mehr Kulturrelativismus als Deeskalation

Den Begriff „islamistisch“ scheint Gerlach zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ferner fordert sie eine gehörige Portion Pragmatismus und die Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle. So sei die Befreiung von muslimischen Schülerinnen vom Schwimmunterricht oder die Nicht-Teilnahme an Klassenfahrten doch eigentlich nichts Dramatisches. Mit dergleichen Argumentation ließe sich auch gegen die Behandlung der Evolutionstheorie im Biologieunterricht zu Felde ziehen, die nicht in das Weltbild einiger christlicher Gruppen passt – doch möchte man wetten, dass die Autorin das in diesem Fall anders sehen würde. Mit einer Deeskalation in der öffentlichen Diskussion im Umgang mit Muslimen, wie Gerlach das fordert, hat ihr Buch deshalb nur bedingt zu tun, dafür um so mehr mit Kulturrelativismus.

– Julia Gerlach: Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland. Ch. Links Verlag, Berlin 2006, 256 Seiten, 16,90 Euro.

Ralf Balke

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