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Dialog: Freund oder Feind

Carl Schmitts Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber.

Carl Schmitt ist eine konservative Urgewalt. Klassischer Gelehrter und Machtmensch. Karrierist und überzeugter Katholik. Der verwegene Plettenberger bleibt als Mensch ein kurioses Faszinosum. Seine Biografie gibt Rätsel auf. Kaum jemand vermochte so wie er, selbst aus dem abgeschiedenen Exil im Sauerland, einen auch nur annähernd vergleichbaren Einfluss auf Politik, Wissenschaft und Feuilletons der Bundesrepublik auszuüben. Einen Einfluss, der übrigens vielerorts als so etwas wie eine subversive Unterströmung wahrgenommen wurde. Die Zeit scheint reif, seine zu Unrecht verteufelten Schriften wertfrei und systematisch zu lesen, wie dies etwa der italienische Kulturphilosoph Giorgio Agamben gezeigt hat.

Schmitt verfügt über ein seismografisches Gespür für den politischen Wandel, seine Sensorik ist auf Phänomene an den Rändern gepolt, die Ausnahme fasziniert ihn stärker als die Regel. Er denkt als radikaler Dezisionist das Politische von der Ausnahme her. Prägnante Formeln wie seine überzeitliche Souveränitätsdefinition („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“) haben ihn über die Grenzen des juristischen Faches hinaus berühmt gemacht. Seine extremen Denkstrukturen sind nicht selten in den manichäischen Kategorien des Entweder-Oder verhaftet: Entweder Freund oder Feind. Entweder man hat Macht oder man hat keine Macht. Dazwischen gibt es nichts.

In einem gleichnishaft konzipierten Lehrdialog, den er 1954 als Hörspiel für den Hessischen Rundfunk inszenierte, äußert sich Schmitt erstmals zum gestaltlosen Topos der Macht. Die Veröffentlichung eines Auszugs aus diesem Dialog zwischen dem berüchtigten Staatsrechtslehrer und einem „jüngeren Jahrgang“ in der „Zeit“ hatte damals sogar den legendären Eklat zur Folge, der Marion Gräfin Dönhoff dazu veranlasste, kurzfristig aus der Redaktion auszuscheiden. Nun wurde dieses „Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber“, ein vor Radikalismen und Bonmots strotzender Text, neu aufgelegt.

Schmitt mutet darin zwar notorisch arrogant und etwas neurotisch an, was er zu sagen hat, hat aber Substanz. Anfangs versucht der Interviewer den abgebrühten Professor a. D. aus der Reserve zu locken und fragt, in welcher Machtlage er sich denn befände, ob er gar selbst über Macht verfüge. Carl Schmitt verneint dies, konzediert der Fragestellung jedoch ihre grundsätzliche Berechtigung. Macht ist für ihn eine anthropozentrische Kategorie, ein zwischenmenschliches, zuerst amorphes Phänomen, dem der Mensch Gestalt verleiht. Es liegt ihm zufolge im natürlichen Selbsterhaltungstrieb des Menschen begründet, nach Macht zu streben und diese zu akkumulieren. Unser immanentes Schutzbedürfnis treibt uns an, qua Bereitstellung von Machtressourcen, Sicherheit zu generieren, oder mit den Worten Schmitts: „Wer keine Macht hat, fühlt sich als Lamm, bis er seinerseits in die Lage kommt, Macht zu haben und die Rolle des Wolfes zu übernehmen.“ Schmitt leitet daraus eine sozialdarwinistische Naturgesetzlichkeit der Macht ab: Die wechselseitige „Verbindung von Schutz und Gehorsam“ stellt für ihn „die einzige Erklärung der Macht“ dar. Er konstruiert eine Hobbes’sche Kausalkette der Macht, an deren Anfang die Schwäche des Individuums steht. Diese bedingt das subjektive Gefühl der Gefährdung, dann einen Affekt der Furcht, woraus wiederum ein Sicherungsbedürfnis entsteht. Letzterem trägt eine zu konstituierende staatliche Schutzapparatur Rechnung. Das ist die manifeste Macht, wie Schmitt sie wahrnimmt. Macht braucht Konsens, der Konsens seinerseits bewirkt Macht.

Carl Schmitt erkennt zudem eine gesteigerte soziale Inklination der Macht durch die Erzeugung von Konsens im massenmedialen Zeitalter. „Ein moderner Machthaber hat unendlich mehr Mittel, den Konsens zu seiner Macht zu bewirken, als Karl der Große oder Barbarossa“, heißt es dort. Kern seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Macht ist die Feststellung, dass dieser eine „unentrinnbare innere Dialektik“ innewohnt: Selbst der absoluteste Herrscher ist abhängig von Informationen durch Berater. Er muss aus der Informationsflut dasjenige herausfiltern, was er für den Bestand seiner Regierung für notwendig hält. Der zutragende Informant hat durch eine selektive Übermittlung bereits Anteil an der Macht, gleichgültig, ob formell oder informell. Macht hat man niemals ganz für sich alleine – nicht einmal in despotischen Regimekonstellationen der Politik.

Sukzessive muss es dann, so Schmitt, zu Revierkämpfen um den Zugang zum Machthaber kommen. Der Vorraum der Macht wird zum Schauplatz dieser Auseinandersetzung um den relativen Anteil an dieser natürlich begrenzten Macht. Schmitt: „Jede Steigerung der direkten Macht verdickt und verdichtet auch den Dunstkreis indirekter Einflüsse.“ Es bildet sich ein Korridor des Machtkampfes, dessen Gladiatoren nicht nur die Minister und politischen Amtsträger, sondern auch die einfachen Köche, Chauffeure und Leibwächter sind. Kurzum, die gesamte Entourage eines Politikers ringt um den Zugang zum Machthaber. Die Frage der Akzessibilität wird zum Hegemonieanspruch auf mitstrukturierenden Einfluss und dem direkten Einfluss auf die Entscheidung selbst. Die Entscheidung ist die Essenz aller politischer Macht. Ihr Verhältnis zur Macht ist reziprok. Hier schließt sich der Kreis.

Überträgt man diese Überlegungen auf unsere Demokratie, könnte uns das davor bewahren, Politik allzu personenzentriert zu denken – oder aber die Bedeutung der Macht und ihrer Verteilung zu unterschätzen.







– Carl Schmitt:

Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 96 Seiten, 16 Euro.

Nicolas Stockhammer

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