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© Thilo Rückeis

Verlag: Die schönen Seiten des Lesens

Ein Besuch bei Katharina Wagenbach-Wolff, der unermüdlichen Verlegerin der Friedenauer Presse. Bei den Büchern des kleinen Verlages sieht der Leser schon auf den ersten Blick, dass diese Bücher nicht nur schön aussehen. Sie belohnen ihn mit geistigen Abenteuern, die oft Weltpremieren sind.

Ganz Europa ist besetzt von seelenlosen Verlagsimperien – nein, nicht ganz Europa: Nicht weit vom Berliner Savignyplatz, in einer verwinkelten Altbauwohnung, gibt es zwei kleine Arbeitszimmer, in denen mit geringem Aufwand ein anspruchsvolles Buchprogramm entsteht. Sogar den Buchhandelsketten ist aufgefallen, dass es sich lohnt, diese Bücher im Sortiment zu haben. Sie haben gerade artig um Vertreterbesuche gebeten – was die liebenswürdige, aber äußerst klarsichtige Katharina Wagenbach-Wolff freut. Sie weiß, dass die Friedenauer Presse nur dank ihres Eigensinns und ihrer Entdeckerfreude existiert.

Schon auf den ersten Blick sieht der Leser, dass diese Bücher nicht nur schön aussehen. Sie belohnen den Leser mit geistigen Abenteuern, die oft Weltpremieren sind. Isaak Babels Kriegstagebuch aus dem Jahr 1920 erschien hier 1994 in der Übersetzung von Peter Urban, noch bevor es die Russen zu sehen bekamen. Das Vertrauen von Babels Witwe – und damit das sorgsam gehütete Manuskript – konnte Wagenbach-Wolff innerhalb einer Stunde in einer Moskauer Neubauwohnung gewinnen. Leonid Dobycins Meisterwerk „Im Gouvernement S.“ feierte seine Premiere 1996, und Babels Erzählzyklus „Die Reiterarmee“ machte den Eindruck, man würde es, übersetzt und kommentiert von Peter Urban, zum ersten Mal lesen.

Liebe zur russischen Sprache und Literatur

Dass gerade der von der KPdSU in den Tod getriebene Dobycin bei Katharina Wagenbach-Wolff eine neue Heimat fand, ist ein Akt schicksalhafter Gerechtigkeit. Ihre Großeltern waren vor den Bolschewiki geflohen und starben in Armut, doch ihrer Enkelin hinterließen sie die Liebe zur russischen Sprache und Literatur. Deshalb konzentriert sie sich besonders auf Charms, Tschechow, Lermontow und Puschkin. Trotzdem führt ihre Neugier sie immer wieder auf geheimnisvolle Abwege.
So entdeckte sie während eines Italienurlaubs im „Corriere de la Sera“ eine Seite, auf der unbekannte Flaubert-Texte vorgestellt wurden. Ein französischer Flaubert-Spezialist erzählte ihr von einer Nichte des Meisters, deren Nachlass auf einem Dachboden in Rouen gefunden worden war und Abschriften unbekannter Skizzen ihres Onkels enthielt. Und in einer italienischen Dorfbuchhandlung fiel ihr ein Büchlein mit dem passenden Titel „Sommer am See“ in die Hände – der hierzulande völlig unbekannte Autor Vigevani begeisterte sie sofort (beide Titel sind als Wolffs Broschur erschienen).

Sie führt ihr Unternehmen aus dem Wohnzimmer heraus

Andreas Wolff hatte 1963 die Friedenauer Presse gegründet, um zu Unrecht Vergessenes und Verborgenes in sorgfältigem Druck zugänglich zu machen. Seine Tochter hat dieses Konzept geringfügig erweitert, als sie 1983 den Verlag aktivierte. Sie hätte sich nicht träumen lassen, dass sie wie David gegen Goliath gegen den Niedergang der Buchkunst stehen würde. Noch heute ist sie froh darüber, eine gründliche Verlagslehre samt Arbeit in einer Druckerei absolviert zu haben, um mit den Druckern auf Augenhöhe reden zu können und mit Horst Hussel, der alle Umschläge gestaltet, in handwerklichen Fragen einig zu sein.

Deshalb hält sie – „da bin ich eisern“ – an der klassischen, augenfreundlichen Kinold-Typografie fest und arbeitet mit den besten Übersetzern zusammen, mit Peter Urban, Hanns Grössel und Elisabeth Edl. Den Verlag betreibt sie nach wie vor fast alleine, schreibt alle wichtigen Briefe auf ihrer alten Schreibmaschine – die nach Petersburg traditionellerweise auf Französisch – und führt, wegen der Rechte, viele schwierige Telefongespräche mit russischen Verlagen.

Direkt und schmerzhaft haben die Brüche unseres Jahrhunderts ihr Leben bestimmt: Die Großeltern erzählten vom zaristischen Rußland, von der Revolution und vom Urgroßvater Maurice Wolff, dem mächtigen Petersburger Verleger, dessen Arbeitskabinett noch kleiner war als ihres. Den Zweiten Weltkrieg überlebte sie mit ihren Eltern in Caputh, wo ihr Vater die russische Armee an der Zerstörung des Ortes hinderte. Zusammen mit Klaus Wagenbach, mit dem sie verheiratet war, baute sie einen linken Verlag auf. Doch sie fühlte sich den prominenten 68ern, die bei ihr ein- und ausgingen, nie wirklich zugehörig. Kein Wunder bei dieser Familiengeschichte.

Im Rückblick sagt sie, sie hätte nichts anders machen können. „Freunde sagen, hör doch auf, aber ich würde mich langweilen. Ästhetische Fragen sind mir immer noch wichtig, und hässliche Bücher ärgern mich wahnsinnig. Da kriege ich Gänsehaut.“ Am Sonntag wird sie 80 Jahre alt: ein Grund mehr, Katharina Wagenbach-Wolff für ihre Beharrlichkeit und Vitalität zu feiern.

Informationen zum Verlag unter www.friedenauer-presse.de.

Nicole Henneberg

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