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Literatur: „Ein gewaltiger, großartiger Dummkopf“

Das Schlangenei: Eugeni Xammars Reportagen aus dem Deutschland der Weimarer Republik

Der katalanische Journalist Eugeni Xammar (1888–1973) war bis zum Erscheinen dieser Edition hierzulande nahezu unbekannt, und doch war er einer der wichtigsten ausländischen Beobachter des politischen Geschehens in den Jahren der Weimarer Republik. Xammar kam 1922 nach Berlin und blieb bis 1936. Der Sieg der Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg beendete seine Reporterkarriere. Seine Berichte, die auch in Spanien erst vor wenigen Jahren in Buchform publiziert worden sind, sind klar und pointiert und auch literarisch bemerkenswert. Viele politische Entwicklungen beobachtet er mit erkennbarem Missvergnügen. Seine hellsichtigen Analysen versieht er oftmals mit sarkastischen Pointen. So lautet eine Überschrift: „In Bayern gibt es keine Politik ohne Bier“.

Xammar reist viel im Lande umher, besucht das von den Franzosen besetzte Rheinland und auch das von völkisch-nationalistischen Radaubrüdern jeglicher Provenienz heimgesuchte Bayernland. Er erlebt den nationalsozialistischen Putschversuch vom 9. November 1923 mit. Ihn seinen Lesern zu schildern, übersteige seine Fähigkeiten, behauptet Xammar. Stattdessen schreibt er: „Es gibt wenig Eindrucksvolleres als einen gut organisierten und inszenierten Putsch, wie den, den mitzuerleben ich das Glück und das Vergnügen hatte, kaum dass ich vierundzwanzig Stunden in München war. Ein solches Ereignis hinterlässt eine bleibende Erinnerung. Ich reise seit nunmehr fünfzehn Jahren durch die Welt und habe alles Mögliche gesehen, doch wage ich zu behaupten, dass es nichts Besseres gibt als einen guten Putsch. Sollte einer meiner geschätzten Leser eines Tages nach München reisen und an einem Bierkeller vorbeikommen, in dem gerade ein Putsch stattfindet, so rate ich ihm, hineinzugehen. Ich bin sicher, er wird es nicht bereuen.“ Natürlich verbirgt sich hinter diesen Sätze eine klare Analyse des Geschehenen, die den Putschversuch in seiner ganzen Lächerlichkeit entlarvt.

Es gelang Xammar, den Putschisten Adolf Hitler zu interviewen, der auch bei dieser Gelegenheit ganz offen über seine Pläne zur Vernichtung der Juden schwadronierte. Das Interview blieb nicht ohne Folgen für den Autor. Die Passagen über die historische Vertreibung der Juden aus Spanien wurden von der spanischen Zensur gestrichen, und Xammar musste den Arbeitgeber wechseln.

Eugeni Xammar ist universell gebildet und politisch bestens informiert. Er hatte, bevor er nach Berlin ging, unter anderem aus London und Paris berichtet. Dennoch kann natürlich auch er den Horizont des Zeitgenossen nicht hinter sich lassen. Manches beurteilt er, wie wir heute wissen, falsch. So hält er, wie viele damals, den bayerischen Generalstaatskommissar Gustav von Kahr für gefährlicher als Hitler. Alle, die Hitler Ende 1923 für erledigt hielten, sollten sich bitter täuschen. Xammar schrieb damals: „Ein gewaltiger, großartiger Dummkopf, der zu einer glanzvollen Karriere berufen ist (wovon er noch fester überzeugt ist, als wir es sind).“ Tatsächlich war diese Karriere nicht aufzuhalten, weil der Widerstand dagegen viel zu schwach, kurzsichtig und unentschlossen war. Deutsche Kreise, die es besser hätten wissen müssen und können, glaubten noch im Januar 1933, die deutsche Republik werde mehr von General Schleicher als von Hitler bedroht. Wie Xammar über diese Zeit berichtet hat, wäre interessant zu wissen, doch der vorliegende Band endet 1924.

„Das Schlangenei“ ist eine spannende Lektüre. Die Übersetzung ist sprachlich gut, allerdings gelegentlich mit sachlichen Fehlern behaftet. Die bayerischen Wadlstrümpfe werden hier zu Gamaschen, die SA wird in „Kampfhunde“ umbenannt, und aus dem bayerischen Ministerpräsidenten wird ein „Ratspräsident“.

Dem Berenberg Verlag ist dafür zu danken, dass er diesen literarischen Schatz für uns gehoben hat. Es wäre verdienstvoll, wenn dem ersten Band weitere mit den späteren Reportagen folgten, und noch verdienstvoller wäre es, wenn diese dann weniger nachlässig annotiert wären.





– Eugeni Xammar:
Das Schlangenei. Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922– 1924. Berenberg Verlag, Berlin 2007. 180 Seiten, 21,50 Euro.

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