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Literatur: Frankfurt sehen und hassen

Katholik, konservativer Anarchist und Großironiker: Martin Mosebach erhält den Georg-Büchner-Preis

Von Gregor Dotzauer

Als vor einigen Jahren das Gerede von der Neuen Bürgerlichkeit begann, war er ihr ältester literarischer Apologet. Und das nicht nur auf dem Papier. Martin Mosebach hatte sich schon Anfang der achtziger Jahre, zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere, als Gesamtkunstwerk inszeniert. Zu einer Zeit, in der man mit offenem Hemdkragen noch ohne schlechtes Gewissen die Lässigkeit von 1968 atmen durfte, liebte er es korrekt. Nicht steif, beileibe nicht, vielmehr formvollendet locker, mit dem Frühlingshauch seiner natürlichen Aristokratie, so dass man sich sagte: Wenn schon bürgerlich, dann bitte so wie er. Fein krawattiert und mit Einstecktuch, gebadet in profunder Bildung, von einem feinen Männerparfüm umweht. Ein lebendes Protestzeichen gegen jedwede Unterschichtsanwandlung, die Deutschland in den Abgrund ziehen könnte, dabei von einer genießerischen Offenheit, die sich zwischen dem Polarmeer, Italien und Indien auf der ganzen Welt wohlzufühlen versprach und in seinen Büchern nach und nach tatsächlich Platz griff.

Von Anfang an befand sich Mosebach, geboren 1951, aber auch in einer offenen Auseinandersetzung mit den allgegenwärtigen Scheußlichkeiten, die seinem ästhetischen Empfinden Gewalt antaten. Und: Er begab sich in einen stillen Kampf mit Thomas Mann, wer von beiden die weiter ausschwingenden, hier noch um ein Detail und dort um das Detail eines Details erweiterten Satzperioden schreiben könne. Bis heute ist Martin Mosebach ein Fundamentalist des Ornamentalen geblieben – nur dass er den erstickenden stilistischen Feinstaub, der über seinen frühen Romanen „Das Bett“ (1983) oder „Ruppertshain“ (1985) liegt, weggepustet oder ihn spätestens mit „Der Nebelfürst“ (2001) in Blütenstaub verwandelt hat, wenn man ihm nach seinem jüngsten Roman „Das Beben“ (2005) nicht sogar die Befähigung zur Herstellung von Goldstaub attestieren müsste.

Doch Staub bleibt Staub. Man kann auf den schwelgerisch-virtuosen Ästhetizismus seiner Literatur also durchaus allergisch reagieren. Was daran Pose ist, was intellektuell gewonnene Überzeugung, was tief eingewurzelte Empfindungsnatur, ist eine knifflige Frage. Sie lässt sich auch mit Blick auf Essays wie die Streitschrift „Häresie der Formlosigkeit“, in der er sich für die alte lateinische Messe in der katholischen Kirche ausspricht, nicht ohne Weiteres beantworten. Hauptsache weg aus der trostlosen Gegenwart, scheint er sich zu sagen, egal, was man sich mit diesem Wunsch einhandelt.

Schuld an alledem ist seine Geburts- und Heimatstadt Frankfurt am Main. In ihr, „einer der verdorbensten und hässlichsten Städte Deutschlands“, sind viele seiner Bücher angesiedelt – als wollte er sie sich jedes Mal von neuem schönschreiben. Und siehe da: Er will und kann. Doch ob dieser Frankfurtekel so ernst gemeint ist, wie er zunächst dasteht, oder ob er vielleicht doch nicht ganz so ernst gemeint ist, damit er ihn umso ernster meinen kann und so weiter – wer weiß. Mit anderen Worten: Es gibt bei Martin Mosebach ein reizvolles Ironieproblem.

In den unendlich ineinander verschlungenen Behauptungs- und Distanzierungsspiralen, die sein fröhlicher Kulturpessimismus durchläuft, ist er Benjamin von Stuckrad-Barre, dem König der popkulturellen Alltagskritik, damit näher verwandt, als er ahnen mag. Jedenfalls hat man es mit der Einordnung von Martin Mosebach nicht leicht. Ob er ein zeitgemäßer Katholik ist, der in Arnold Stadler und Sybille Lewitscharoff sogar Gesellschaft hätte, ein konservativer Anarchist nach dem Vorbild von Ernst Jünger oder schlicht ein Klassizist mit gebrochenem Herzen – in seiner schillernden Gestalt findet all das zusammen. Er selbst flirtet mit der Figur des Reaktionärs, so wie ihn der antimoderne auf antiliberalen Krach und katholisches Gottvertrauen gebürstete kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Davila sich vorstellte: „Die höchste Weisheit des Reaktionärs“, zitiert ihn Mosebach einmal, „bestünde darin, selbst für den Demokraten noch einen Platz zu finden.“

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die ihm jetzt die angesehenste deutsche Auszeichnung für Schriftsteller, den mit 40 000 Euro dotierten Büchner-Preis zuerkannt hat, würdigt ihn jetzt mit folgendem Satz: „Die Auszeichnung gilt einem Schriftsteller, der stilistische Pracht mit urwüchsiger Erzählfreude verbindet und dabei ein humoristisches Geschichtsbewusstsein beweist, das sich weit über die europäischen Kulturgrenzen hinaus erstreckt; einem genialen Formspieler auf allen Feldern der Literatur und nicht zuletzt einem Zeitkritiker von unbestechlicher Selbstständigkeit.“ In dieser Mischung ist er zweifellos einzigartig.

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