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Literatur: Füchsin gegen Gänserich

Annette Pehnts Roman über „Mobbing“

Ursprünglich stammt der Begriff aus der Verhaltensforschung. Konrad Lorenz sprach von „Mobbing“, wenn unterlegene Tiere wie Gänse gemeinsam einen stärkeren Gegner, etwa einen Fuchs, in die Flucht schlagen. Das Motiv der vielen gegen den einen ist in der soziologischen Bedeutung des Wortes für besondere Fiesheiten am Arbeitsplatz erhalten geblieben, auch wenn es da meistens nicht darum geht, den Stärkeren zu verjagen, sondern bloß einen, der, aus welchen Gründen auch immer, die Gemeinschaft stört. Mobbing hat mit Macht zu tun und mit Abhängigkeit. In Annette Pehnts romanhafter Behandlung des Themas geht das Mobben von oben nach unten. Es erscheint als spezielle Herrschaftspraxis einer Chefin, die einen ihrer Angestellten nicht leiden kann. Konrad Lorenz hätte hier den seltenen Fall einer Füchsin, die mithilfe opportunistisch schnatternder Gänse einen Gänserich schikaniert.

„Mobbing“, so der schlichte Romantitel, ist ein Erfahrungsbericht. Die Ich- Erzählerin, eine freiberufliche Übersetzerin in der Kinderpause, berichtet, wie ihr Mann seine Stelle in der Stadtverwaltung verlor und welche Demütigungen er sich gefallen lassen musste: wie ihm Projekte entzogen werden, wie seine Kollegen auf Distanz gehen, wie die neue Chefin jedes Gespräch mit ihm verweigert und er immer weiter in die Isolation gerät. Als mit der Kündigung die finale Katastrophe eintritt, wirkt das fast erleichternd: „Wir nickten uns zu, verblüfft und mit dieser einzigartigen Befriedigung, dass endlich das Schlimmste passiert war, wir mussten es nun nicht mehr fürchten, warum sollten wir schreien, es gibt fünf Millionen Arbeitslose, Joachim Rühler gehört dazu.“

All das, was sich am Arbeitsplatz an Schrecklichkeiten ereignet, kann durch die gewählte Erzählperspektive nur indirekt mitgeteilt werden. Das ist ein gelungener Kunstgriff, weil sich dadurch das Misstrauen der Erzählerin auf die Leser überträgt: Stimmt es wirklich, was ihr Mann empfindet? Oder ist er nur überreizt? Ist er tatsächlich ein Widerstandskämpfer gegen interne Machtstrukturen, oder ist er vielleicht doch der kränkelnde Versager, als den ihn seine Chefin und bald auch seine Kollegen hinstellen? Was heißt es, wenn er sagt, es herrsche „Krieg“? So vollzieht man als Leser mit, wie das Mobbing von der Arbeit ausstrahlt und in die Familie hineinwirkt. Man sieht, wie der Mensch sich verändert, wie er sein Selbstbewusstsein verliert, wie er verstummt oder krank wird und sich nicht mehr helfen lassen kann. Zwei kleine Kinder verschärfen den Ernst der Lage.

Das ist plastisch erzählt, bietet aber keinerlei neue Erkenntnisse. Dass Mobbing zerstörerisch ist, weiß man ja. Und dass Arbeitslose ihre freie Zeit nicht zu nutzen vermögen, ist auch keine originäre Erfahrung. Seine Stärken hat dieses Alltagsprotokoll immer dann, wenn Pehnt die Beziehungsgespräche als Endlosschleifen gegenseitiger Vorwürfe wiedergibt: eine Abwärtsspirale des Vertrauensverlustes. Der Bericht krankt aber daran, dass er ganz und gar Fallgeschichte und Betroffenheitsreport bleibt. Annette Pehnt entfernt sich von Buch zu Buch weiter von ihrem großartigen Erstling „Ich muss los“. Schon das 2006 erschienene „Haus der Schildkröten“, wo es um das Problem des Alters und das Leben im Altersheim ging, las sich stellenweise wie eine Sozialreportage. In „Mobbing“ ist von der eleganten Leichtigkeit, der sprachlichen Raffinesse und absurden Skurrilität des Erstlings kaum noch etwas zu finden. Das ist schlimm genug. Der Ernst der erlittenen Demütigungen lässt keinen Raum für Spiel und Ironie. Vielleicht steckte Pehnt noch zu tief in ihrem Stoff, um die Distanz zu gewinnen, die unverzichtbare Bedingung ist für die Entstehung von Literatur.

Annette Pehnt: Mobbing. Roman. Piper Verlag, München 2007. 166 Seiten, 16,90 Euro.

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