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Hans Adler: Das Städtchen neu entdeckt

Als sogenannter Konzeptpraktikant hatte Hans Adler ab 1906 in Sankt Pölten bei Wien gearbeitet. Jetzt wurde sein Roman "Das Städtchen" wieder entdeckt.

Hier müssen satte Menschen friedlich wohnen / Mit runden Köpfen, denen man vertraut. / Es riecht nach saurem Bier und braunem Kraut, / Nach fett und fromm gewordenen Matronen“: So lautet die erste Strophe aus Hans Adlers Gedicht „Das Städtchen“. An dem gleichnamigen Roman, seinem einzigen, arbeitete der Jurist und Textdichter ganze acht Jahre lang. „Das Städtchen“ erschien 1926 und wurde mit dem Künstlerpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Schon zuvor waren Tucholsky, Klabund und andere auf Adlers satirisches Talent aufmerksam geworden.

Als sogenannter Konzeptpraktikant hatte Hans Adler (1880–1957) ab 1906 in Sankt Pölten bei Wien gearbeitet. Dabei gewann er offenbar tiefe Einblicke in das gesellschaftliche Leben dieser Provinzstadt gegen Ende der k. u. k. Monarchie. „Hier müssen satte Menschen friedlich wohnen“: Es ist der satirische Blick von außen, durch die hell erleuchteten Fenster, der die Perspektive des Romans bestimmt. Immer wieder lässt der allwissende Erzähler seine Figuren hinein- oder hinaustreten. Ständig werden Garderoben überprüft, Krägen hochgeschlagen oder Schirme aufgespannt.

Das namenlose Städtchen, dessen geheimes erotisches Treiben hier geschildert wird, liegt an der Bahnstrecke Wien–Paris. Selbstherrlich regiert der Bürgermeister Knetsch. Tagsüber verführt er seine wechselnden Sekretärinnen, abends zeigt er sich mit Frau und Tochter im Stadttheater. Es wimmelt nur so von Menschen mit künstlerischen Ambitionen. Sie alle streben nach Höherem und treten doch auf der Stelle. Etwa der Zeichenlehrer Titus Quitek. Sein Name klingt nicht nur nach einem rechtschaffenen Meerschweinchen, Quitek ist tatsächlich die einzige ehrliche Haut vor Ort. Er wird schmerzhaft mit seinen gescheiterten Lebensplänen konfrontiert, als er seinem Jugendfreund Baron von Seylatz wiederbegegnet, der sich nichts dabei denkt, die minderjährige Ziehtochter seines Freundes zu verführen.

Hans Adler erweist sich weniger als Epiker der langen Strecke denn als pointierter Satiriker. Mag das Reich des österreichisch-ungarischen Doppeladlers auch untergegangen sein: Das „Städtchen“ bleibt, wie dieses wiederentdeckte kakanische Kleinod beweist, ein unvergänglicher Prototyp.

Hans Adler: Das Städtchen. Roman. Mit einem Nachwort von Werner Wintersteiner. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2010. 333 Seiten, 21,90 €.

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