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In der Pflicht: Tagebuch von Günter Grass erscheint

Keine Saison ohne ein Werk von Günter Grass: Nächste Woche erscheint sein Tagebuch von 1990.

So sieht perfektes Timing auf dem Buchmarkt und anderswo aus. Das Jahr 2009, das ja ein außerordentliches Gedenkjahr ist (70 Jahre Kriegsanfang, 60 Jahre BRD und vor allem 20 Jahre Mauerfall), ist noch keinen Monat alt, und schon steht nach der autobiografischen "Box" vom letzten Sommer eine weitere Veröffentlichung von Günter Grass an: "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland" heißt sein Tagebuch von 1990, das Ende Januar in die Buchhandlungen kommt.

Wie bei Grass nicht anders zu erwarten, wird die Veröffentlichung von einer Vorab-Marketingkampagne flankiert: In der aktuellen "Zeit" gibt es ein Interview mit dem 81-jährigen Schriftsteller und auf zwei Seiten erste Tagebuch-Auszüge. Und wie bei Grass ebenfalls nicht anders zu erwarten, waren es für ihn keine inneren, auch keine von seinem literarischen Schreiben herrührenden Notwendigkeiten, dieses Tagebuch zu führen, sondern die turbulenten politischen und historischen Ereignisse: "Ich bin kein passionierter Tagebuchschreiber", bekennt er am 1. Januar 1990. "Es muß schon Ungewöhnliches anstehen, das mich in die Pflicht nimmt. Diesmal will ich in immer neuen Anläufen die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten überschreiten, mich auch in beide Wahlkämpfe (Mai und Dezember) einmischen."

Grass ist sich seiner Rolle als politisch agierender Schriftsteller bewusst

Als "Bürger, der sich in die Pflicht genommen sieht" bezeichnet Grass im Interview seine Motivation. Weshalb dieses Tagebuch auch nicht unbedingt ein "sehr persönliches Dokument" ist, wie es der Göttinger Steidl Verlag ankündigt, sondern vor allem ein auf die jeweiligen politischen Entwicklungen zugeschnittenes, das mit Grass' frischen Eindrücken aus der zusammengefallenen DDR durchsetzt ist. Anders als etwa der 2007 verstorbene Walter Kempowski, der in seinen 89er- und 90er-Tagebüchern "Alkor" (2001 veröffentlicht) und "Hamit" (2006) das Privateste mit dem Allgemeinen vorzüglich zu verbinden verstand, findet sich bei Grass kaum Privates.

Zu gut ist er sich seiner Rolle als politisch agierender Schriftsteller bewusst. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing hält er Anfang Februar eine Rede und resümiert: "Es fiel mir nicht leicht, Willy Brandt grundsätzlich zu widersprechen." Und nur drei Wochen später nimmt er am Leipziger Parteitag der SPD teil, streitet sich mit Oskar Lafontaine, führt Gespräche mit alten DDR-Sozialdemokraten und ergreift auch hier das Wort: "Spät werde ich ans Pult gebeten, auch um die ermüdeten Delegierten ein wenig aufzumuntern." Grass ist nicht einfach nur Beobachter und Mediennutzer, sondern er mischt mit, warnt, mahnt und äußert immer wieder seine Skepsis über die seiner Ansicht nach viel zu überstürzt und einseitig vollzogene Wiedervereinigung.

Mit der Veröffentlichung des Tagebuchs wolle er noch einmal "einigen Sonntagsrednern in die Suppe spucken", so Grass in der "Zeit". Wenn das nicht klappt, dürfte er trotzdem kaum von weiteren Veröffentlichungen dieser Art absehen. Seit 1990 habe Grass, so der Verlag in der Frühjahr-Programmvorschau, von seinem Verleger Blindbände geschenkt bekommen, Bücher mit leeren Seiten, die er mit frühen Fassungen seiner Bücher und mit Tagebuchaufzeichnungen füllt, "ein bis heute anhaltendes intensives Notieren". Auf dass es auch in den nächsten Jahren keine Buchsaison ohne Günter Grass gebe.

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