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Jurjews Klassiker: Das Leben des Hl. Ossip

Oleg Jurjew fragt, ob sich Mandelstam in Denkmälern aufwiegen läst.

Am 28. November wurde in Moskau ein Denkmal für Ossip Mandelstam enthüllt - bereits das vierte in Russland. Das erste wurde 1998 in Wladiwostok errichtet (Mandelstam starb in einem Lager unweit davon am 27. Dezember 70 Jahren). Das zweite steht seit 2006 in St. Petersburg, wo er aufwuchs und zu einem großen Dichter reifte, das dritte seit diesem Jahr in der südrussischen Stadt Woronesch, dem Ort seiner Verbannung. Man kann getrost sagen: Mit der Aufstellung eines Denkmals in der Hauptstadt ist die Kanonisierung Ossip Mandelstams vollendet. Man sollte die Bauwut freilich nicht überbewerten: Bei den Russen ist sie zu einem Volkssport avanciert. Es werden Denkmäler für alles Mögliche aufgestellt: für einen Heizkörper (Samara), für ein paar Pantoffeln (Tomsk), für eine Dose Ölsardinen (Kaliningrad) und für das Zeichen @ (Moskau). Und natürlich für Dichter.

Trotzdem: In der russischen Kultur von heute nimmt Mandelstam einen besonderen Platz ein. Seine poetische Syntax, seine Intonation sind zu einem konstitutiven Teil der Literatursprache geworden. Und sein Leben zu einem Inbegriff ... ja wovon? Das Bild, das sich von ihm etablierte, in erster Linie dank der Erinnerungen seiner Witwe Nadeschda, ist das eines Helden, der einen ungleichen Kampf gegen eine der brutalsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte führte.

Im Zentrum dieser Vita steht das "Epigramm" (1933), in dem er Stalin persönlich angriff - den "Kreml-Gebirgler" und "Bauerntöter" mit seiner "breiten Ossetenbrust". Eine arge Beleidigung für einen Georgier - auch wenn die Verachtung, mit der viele Georgier ihre Nachbarvölker bedenken, übertriebene Rücksicht unangemessen aussehen lässt. Wegen dieses als Selbstopferung gedachten Gedichts, das er unter "Sicherheitsvorkehrungen", die keine waren, gerne vorlas, wurde er im Mai 1934 verhaftet. Er war sich eines sofortigen Märtyrertodes sicher, bekam aber eine vergleichsweise milde Strafe: eine Verbannung innerhalb des europäischen Russland.

Der Sieg der Sprache über die Intention mach Mandelstam zu einem Helden

Mandelstam sah sein Leben danach als ein "zweites", ein "geschenktes" Leben an: Er war so gut wie tot, aber man hatte ihn zurückgeholt, ins Reich der Lebenden - nicht zuletzt dank Stalin. Mandelstam las es als Zeichen, dass er dem "neuen Leben" und der "neuen Welt" nicht gleichgültig sei, dass man an ihm interessiert war, von ihm eine "Läuterung" erwartete. Und er wollte sich "läutern". Die meisten seiner späten Texte bleiben unerklärbar, wenn wir nicht bedenken, dass der Dichter mit all seinen Kräften versuchte, "sowjetisch" und "eins mit seinem Volk" zu sein. Selbstverständlich scheiterte er: Sogar die einfachsten ideologischen Formeln verwandelten sich bei ihm in poetische Bilder verstörender Schönheit.

Er konnte nicht nach der vorgeschriebenen Ästhetik schreiben (einfach, volksnah, normal). Sein einmaliges "Gehör", sein Verlangen nach "reinem Klang" verhinderte das. So naiv wie er war, konnte er nicht glauben, dass es ihnen recht wäre, wenn er, der grosse Lyriker Mandelstam, "für den Sozialismus" schlecht schriebe. Sogar seine "Ode an Stalin", der größte Zankapfel der Mandelstam-Forschung (manche halten sie sogar für eine Satire, um das Heldenbild zu erhalten!), ist wunderbar komplex geschrieben. Er wollte nicht hinnehmen, das die Machthaber sich einen Dreck darum scheren, ob er für oder gegen sie sei. Wenn überhaupt, interessierte sie aber nur die mögliche Wirkung seiner Texte auf die breite Masse. Der Mensch Mandelstam wollte sich "läutern", aber er konnte seine Dichtung nicht zur "Läuterung" zwingen.

Dieses einmalige Versagen, dieser einmalige Sieg der Sprache über die Intention des Sprechenden machte Mandelstam zu mehr als zu einem Helden, zu mehr als einem Heiligen. Er machte ihn zu der personifizierten Hoffnung, dass die Sprache, die Dichtung in der Hölle überlebe, auch wenn sich der Mensch von der Totalität des Bösen verzaubern lassen will. Er machte ihn zu Mandelstam.

Ich weiss nicht, mit wie vielen Denkmälern das aufzuwiegen wäre.

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