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Kritik: Wüste in der Wohnung

Denkbild Berlin: die Prosa-Miniaturen des slowenischen Dichters Ales Steger erzählen von ambivalenter Entrückung aus der persönlichen Mitte und dem Abenteuer, das sie mit sich bringt.

Von Gregor Dotzauer

Keine Versuchung erschien ihm schrecklicher, als auch noch ein Buch über Berlin zu schreiben. Aber als Ales Steger vor vier Jahren auf Einladung des DAAD aus Ljubljana in die Stadt kam, forderten die Dinge ihr eigenes Recht auf Darstellung. Vielleicht waren es die Novemberstürme, die aus Sibirien heranfegten, unterwegs einen Geruch nach Polen einsammelten und dann melancholisch auf Berlins Straßen herunterschwebten, bevor sie aufs Papier fanden. Oder es war der Augenblick, in dem sich mitten in dem von Thais bevölkerten Wilmersdorfer Preußenpark Ovids „Metamorphosen“ ins Bild schoben.

Berlin wurde für den heute 35-jährigen Steger zu einer Wahrnehmungsritze, durch die seine slowenische Muttersprache, vermischt mit deutschen Lauten, drang, und das Gefühl eines wohligen Unbehaustseins mit einem Unbehagen kämpfte, das ihm das Dreieinhalbmillionenmonstrum rundherum vermittelte.

Jedes einzelne der 31 Denkbilder, die Steger in seinen „Berliner Skizzen“ mit dem Titel „Preußenpark“ gesammelt hat, erzählt von dieser ambivalenten Entrückung aus der persönlichen Mitte und dem Abenteuer, das sie mit sich bringt. Straßenzug um Straßenzug und Gebäude um Gebäude lässt sich die Stadt in diesen Texten als Gegenstand einer realen Topografie entziffern – und wird doch überlagert von der Verdichtung einer inneren Topografie, wie sie nur einem Lyriker von Stegers poetischer und intellektueller Begabung gelingen kann.

Die Schutzgeister, vor denen er sich mit Zitaten verneigt, heißen Durs Grünbein und Walter Benjamin, dessen „Berliner Kindheit um 1900“ mit ihren Rätseltexten, die Erkenntnis in der Verunsicherung der eigenen Erinnerung suchen, Steger tief beeindruckte. Mit der Belebung des Denkbilds und seinen manchmal im Wortsinn surrealistischen Qualitäten steht Steger nicht allein da.

Mit dem Tschechen Petr Borkovec, der in der Friedenauer Presse den wunderbaren Band „Amselfassade“ vorlegte, oder dem Ungarn László F. Földenyi, der sich ihnen unter anderem in seinen Essays „Ein Photo aus Berlin“ näherte, hat Berlin zwei durchaus verwandte Skizzenmeister gefunden. Auf den Charme der diagnostischen Verallgemeinerung aber versteht sich keiner besser als Ales Steger: „Die Berliner sind Meister des Lebens im Leeren, wenn sie nur könnten, würden sie sich mitten in der Nacht eine Wüste in ihre Wohnung holen und dort einsperren, eine graue Steppenlandschaft oder den Horizont in einem morgendlichen Schleier über dem Meer.“

Ales Steger:

Preußenpark.

Berliner Skizzen.

Aus dem Slowenischen von Ann Catrin Apstein-Müller.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009. 159 Seiten, 10 €.

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