zum Hauptinhalt
langhans

© ddp

Leipziger Buchmesse: Sie feiern und sie fetzen sich

Die Leipziger Buchmesse endet als Klassentreffen der 68er. In der City herrscht der Ausnahmezustand.

Es ist ein schöner und für ihn typischer Satz, den Götz Aly da bei der „Langen Ossi-Wessi-Nacht“ im Kuppelsaal der „Leipziger Volkszeitung“ sagt: „Ich sehe mein Buch als eine Störung der Heldengedenkfeiern des Rudi-Dutschke-Gedächnisvereins.“ Klar, das kann er so sehen, verstörend ist ja schon der Titel seines Buchs, „Unser Kampf“.

Was er nicht sehen will: Trotz seiner These, die 68er-Bewegung habe faschistoide Tendenzen aufgewiesen, ist Aly selbst unverzichtbarer Teil der 68er-Gedenkfeiern auf der Leipziger Buchmesse, wie überhaupt in diesem Jahr. Wo man in den Messehallen oder abends in der Stadt geht und steht, irgendeiner von ihnen erinnert sich oder erklärt ein weiteres Mal den Mythos 68: Peter Schneider oder Gerd Koenen auf dem Blauen Sofa, Rainer Langhans auf der Leseinsel der jungen Verlage, die 68er-Zwillingsgroupies Gisela Getty und Jutta Winkelmann, und alle zusammen bei jener langen Nacht, hier dann auch mit 68ern aus der DDR, etwa Stefan Wolle, der ein Buch über 1968 im Osten geschrieben hat.

Dass Götz Aly quertreibt, gehört mit zur 68er-Folklore. Als Mitglied einer einheitlichen Bewegung fühlte sich ja schon damals niemand. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich in den Gesprächen über die Studentenbewegung Analytisches und Anekdotisches zum Teil unangenehm miteinander vermengen, dass eine Gruppe in die Jahre gekommener Aktivisten sich ihrer selbst vergewissert, ihrer Biografien, ihrer Identität. Von Beruf 68er, könnte man auch sagen, verfolgt man zum Beispiel Peter Schneiders schriftstellerischen Weg. Der Schritt ins Narzisstische oder gar ins Clowneske hinein, wie bei dem auch auf der Messe immer ganz in Weiß gekleideten Rainer Langhans, ist da nur ein kleiner.

Wer damals gerade geboren wurde und trotzdem Kind von Nicht-68er-Eltern war, wundert sich heute ein bisschen: Hört das denn nie auf? Merkwürdig auch, dass die Kinder der 68er sich in diesem Jahr so gar nicht äußern und dass auf Sophie Dannenbergs Abrechnung mit ihrer Elterngeneration keine weiteren Bücher gefolgt sind. Was sich wiederum so deuten lässt: Der Schatten von 1968 ist weiterhin ein langer, die wollen sich die Deutungshoheit bis ins höchste Rentenalter bewahren. Oder eben: Jedes Jubiläumsjahr geht einmal zu Ende.

Selbstverständlich lässt sich von damals auch eine Linie ziehen zu einem ganz heutigen Buch wie dem von Charlotte Roche. Getreu der Devise: freier lieben, freier schreiben, freier kaufen. Mit ihrem pornografischen Roman „Feuchtgebiete“ ist Roche jedenfalls einer der großen Stars dieser Messe, kein Wunder bei bislang 180 000 ausgelieferten Exemplaren. Roche könnte sich also bestätigt sehen in ihrer Vermutung, dass Aufklärung nottut und das Sprechen über den Trend zu Schamlippenverkürzungen genauso wie über die Probleme mit Hämorrhoiden eine Erleichterung bedeuten kann. Auch Körpersäfte wollen kommuniziert sein: Zurück zur Natur heißt Roches Ansatz, und wenn ihr jemand entgegnet, dass ja auch Scham eine zivilisatorische Errungenschaft sei, schweigt die Autorin. Weitergehende intellektuelle Reflexionen sind ihre Sache nicht.

Dafür erklärt sie umso lieber ungefragt, dass ihr Buch bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen sollte, dort aber wegen seines Pornodralls abgelehnt worden sei. Was wiederum Verleger Helge Malchow in die ungewohnte Situation bringt, erklären zu müssen, warum er ein Buch eben nicht gemacht habe. Pornografie sei das eine, sagt er, doch müsse man in einer literarischen Publikation auch Sinn und Zweck entdecken können. Bei „Feuchtgebiete“ hätte er über das Pornografische hinaus nicht viel mehr lesen können.

Ist diese Mini-Kontroverse typischer Buchmessenstoff, so täuscht sie doch nicht darüber hinweg, dass dieser Leipziger Jahrgang zwar mal wieder ein enorm erfolgreicher ist (2400 Aussteller, weit über 100 000 Besucher), aber bis zum Sonntag, dem letzten Messetag, wenig Aufsehen erregte. Interesse weckte höchstens die Nachricht, dass im Herbst ein tausend Seiten starker Roman von Uwe Tellkamp erscheinen soll. Und zwar bei Suhrkamp und nicht beim Rowohlt Verlag, der 2005 Tellkamps umstrittenen, damals auch auf der Messe in Leipzig vieldiskutierten Debütroman „Der Eisvogel“ veröffentlicht hatte. Oder das Gerücht aus Medienkreisen, beim ZDF gebe es ein Gezerre um den Sendetermin von Elke Heidenreichs Sendung „Lesen!“ und Heidenreich schmeiße eventuell Ende des Jahres die Brocken hin. Solche Sachen halt.

Dass bei Jan-Philipp Reemtsmas Lesung aus seiner Studie „Vertrauen und Gewalt“ ein genauso großer Andrang im Sachbuchforum herrscht wie bei Winfried Glatzeder im Berliner Zimmer (inklusive langer, langer Schlangen beim anschließenden Buchsignieren), dass hier Fernsehstar Bruce Darnell, eine Art Pastor Fliege für die Jugend, vielbeklatscht Schlauheiten von sich geben kann wie „Der Charakter des Menschen, das ist der entscheidende Punkt“ oder „Ich bin genauso wie euch“ – all das gehört genauso zu Leipzig wie die zahlreichen Schulklassen und die Gothic- und Schwarzkittel-Manga-Fans, die sich am Samstagvormittag in den Hallen drängeln.

Spektakulärer geht es außerhalb der Buchmesse zu. Realität schlägt Literatur, gewissermaßen: In Leipzigs City herrscht der Ausnahmezustand. Nach der DiskoRandale mit einem Toten am letzten Wochenende ist die Stadt voller schwer bewaffneter Polizisten. Immerhin konnte die für den gestrigen Samstag angemeldete NPD-Demo „gegen kriminelle Ausländer“ gerichtlich untersagt werden.

Was man jedoch täglich über die auswärtige „Drogenmafia“, die in Leipzig Fuß fassen will, und die einheimische Szene in der Lokalpresse lesen kann, ist aufregender als so mancher Roman. Da gibt es einerseits die Clubbesitzer und die Gruppe der Türsteher mitsamt Angehörigen, von denen die meisten bei Leipziger Securityfirmen beschäftigt sind. Und es gibt andererseits die Polizei, die Drogen-Mafia sowie die V-Männer der Polizei, die zur Drogen-Mafia übergelaufen sind. Auch wichtig bei diesem Schauspiel: Kampfsportler, Fußballhooligans, Neonazis und die Hells Angels.

Immerhin erinnert diese Szenerie an Clemens Meyers Debütroman „Als wir träumten“ von 2006, da fand die Realität ihre literarische Entsprechung. Meyer schweigt bei seinen Auftritten zu den aktuellen Leipziger Verhältnissen. Er hat genug damit zu tun, seinen Erfolg als Gewinner des diesjährigen Belletristik-Preises der Buchmesse zu verarbeiten, den er für seinen Erzählband „Die Nacht, die Lichter“ erhalten hat. Das macht er lässig, mit Witzchen über seine laufende Nase („Ja, da habe ich gerade für 100 Euro Koks ins Taschentuch geschnaubt“), aber doch immer leicht über dem Strich, so dass man sich fragt, ob der Preis ihm und seinem weiteren Schreiben tatsächlich gut tut. Auch für einen Schriftsteller ist Leipzig ein gefährliches Pflaster.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false