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Lesung: Alle Wege führen nach Kairo

Der erfolgreichste Erzähler Ägyptens Alaa al-Aswani liest beim Literaturfestival Berlin aus seinem zweitem Roman „Chicago“.

Der lange Arm des ägyptischen Staates reicht bis über den Atlantik, wie Nâgi Abdalsamad erfahren muss, der studentische Protagonist von Alaa al-Aswanis zweitem Roman „Chicago“ (aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich, Lenos Verlag, Basel 2008, 465 S., 22 €). Ägyptens momentan erfolgreichster Erzähler, Jahrgang 1957, erzählt wie in seinem Vorgängerbuch „Der Jakubijân-Bau“ in leicht verdaulichen Episoden. Waren es dort die Bewohner des titelgebenden Kairoer Mietshauses, so sind es nun Studenten und Dozenten am Institut für Histologie der Universität von Illinois in Chicago, die stellvertretend für die Gesellschaft stehen.

Da ist die nicht mehr ganz junge, unverheiratete Stipendiatin aus der ägyptischen Provinz, die in der Fremde aus ihrer Schüchternheit ausbricht, neben dem aus Ägypten stammenden, seine Herkunft erfolglos verdrängenden Professor. Und der blonde, muskulöse Paradeamerikaner trifft auf den unbegabten Studenten, der sein Stipendium allein der Tatsache verdankt, dass er seine Kommilitonen für den ägyptischen Geheimdienst bespitzelt.

Haarscharf schreibt Aswani, der selber in den achtziger Jahren an der Universität von Illinois Zahnmedizin studierte und damit heute sein Geld verdient, an der Kolportage vorbei. Wenn man ihm seine offensichtlich am Reißbrett entstandenen Plots letztlich nicht übel nehmen kann, dann, weil er es meisterhaft versteht, Spannungsbögen zu schlagen.

Die stets mit einem Cliffhanger endenden Episoden erzählen unter anderem von Raafat Thâbit, Professor am Institut für Histologie, der in den sechziger Jahren nach Amerika kam und „durch und durch Amerikaner“ wurde. Sonntags besucht er Baseballspiele, „wobei er immer wieder an einer großen Dose Bier schlürft“. Seine Selbstbeschreibung „I am Chicagoan“ verströmt die Überzeugungskraft eines Konvertiten: „Ich bin in Ägypten geboren und dann vor der Ungerechtigkeit und der Rückständigkeit dort geflohen zur Gerechtigkeit und zur Freiheit hier.“ Nach 9/11 vertritt er „derart fanatisch antiarabische und antiislamische Ansichten, dass sie wohl auch den meisten Amerikanern peinlich waren“. Als seine Tochter den Drogen verfällt, sieht er zwei Möglichkeiten: „Entweder bin ich ein rückständiger orientalischer Vater, wasche meine Hände in Unschuld und verfluche meine Tochter, oder ich verhalte mich wie eine zivilisierte Person und helfe ihr aus ihrem Unglück heraus.“

Der Student Nâgi erweist sich hingegen in seinem Kampf für die demokratische Opposition Ägyptens als glühender Patriot. In Chicago trifft er auf Ahmad Danâna, der für die Staatssicherheit arbeitet und während des zweiten Golfkriegs dafür gesorgt hatte, dass man Nâgi verhaftete. Alles läuft auf einen großen Showdown hinaus, als der – namentlich nicht genannte, aber leicht als Hosni Mubarak erkennbare – Staatspräsident Chicago seinen Besuch ankündigt und sich mit den ägyptischen Stipendiaten treffen will.

„Ihr könnt euch glücklich schätzen“, verkündet Danâna den Kommilitonen: „Irgendwann einmal könnt ihr euren Kindern sagen, ihr seid dem großen Führer von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten.“ Der „große Führer“ erweist sich als lächerliche Gestalt. Ein Greis, an dem „alles irgendwie künstlich“ ist. Die Veranstaltung gerät zur Farce. Von der Botschaft organisierte Transparente verkünden, dass die „Ägypter Amerikas“ den „Führer“ willkommen heißen. Nâgi, der die Gelegenheit sah, gegen das Regime zu protestieren, erkennt, dass alle Bemühungen vergebens sind. Der Plan, eine kritische Erklärung zu verlesen, scheitert. Kurz darauf wird er von „drei kräftig gebauten Amerikanern“, die sich als Angehörige der CIA ausweisen, verhaftet. Man habe Informationen, dass er einer Zelle angehöre, „die terroristische Aktionen in den Vereinigten Staaten plant“. Der ägyptische Geheimdienst habe ihnen eindeutige Hinweise gegeben. Der lange Arm des ägyptischen Staates reicht weit.

Al-Aswani liest heute um 19.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

Andreas Pflitsch

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