zum Hauptinhalt
Josep Pla

© Promo

Literatur aus Katalonien: Schreiben, nicht leben

Wanderer am Rande des Meeres: der Tagebuchkünstler Josep Pla.

Der junge Mann ist Jurastudent ohne Ambitionen, ohne „Begeisterung für die Frauen, fürs Geld oder dafür, im Leben etwas aus sich zu machen.“ Er kommt aus einer wohlhabenden katalanischen Familie aus dem Städtchen Palafrugell, Vater Fabrikant, Mutter perfektionistische Hausfrau, die das Antisoziale ihres Sprösslings mit Unbehagen registriert. Das versteht der junge Mann natürlich. Es tut ihm leid, dass seine Eltern sich seinetwegen sorgen, aber ändern kann er an seiner „gefühlsmäßigen Sterilität“ auch nichts. Leidenschaft empfindet er nur für eines: für „diese geheime, diabolische Manie des Schreibens, der ich alles opfere und im Leben wahrscheinlich alles opfern werde. Ich frage mich: Was ist vorzuziehen – ein mittelmäßiges Auskommen, in das man sich heiter fügt, oder eine Besessenheit wie diese, leidenschaftlich, spannungsgeladen und fesselnd?“

Sechzig Jahre später hinterlässt Josep Pla nach seinem Tod 1981 ein Werk von 45 Bänden. Er gehört zu den renommiertesten katalanischen Autoren, nach dem in seiner Heimat Straßen und Plätze benannt sind. Aber etwas „aus sich gemacht“ hat er trotzdem nicht. Denn der Roman, die Königsgattung der Literatur, war seine Sache nicht. Das Konstruierte und Geschlossene einer Handlung mit Anfang, Mitte und Ende war ihm verdächtig. Ihm ging es darum, „die Wirklichkeit am Schopfe“ zu packen. Pla lag die Skizze, das journalistische oder literarische Porträt, die Reisereportage, die autobiografisch grundierte Erzählung – und vor allem das Tagebuch, also die Gattung, die die meiste Freiheit verspricht.

„Am Mittelmeer ist alles örtlich: das Wetter, die Küche, die Dialekte, die Leute. Alles ändert sich dort in einem fort. Eine Meile weiter unten im Norden oder weiter im Süden, und alles ist anders: die Richtung der Winde, das Fischaroma, die Knoblauchmenge im Kochtopf, die Machart, der Geschmack, die Gefühle. Die Nuancen sind faszinierend, erstaunlich.“ Am veränderlichsten ist natürlich das Meer, das Pla auf Dutzenden Seiten beschrieben hat, wie Sisyphos immer wieder neu Anlauf nehmend – „das Meer ist gelblichweiß, perlfarben, ein inneres Licht scheint aus der Tiefe zu steigen“ – ohne es jemals fassen zu können. Denn jedes Mal, „wenn wir es zu besitzen glauben, stiebt es davon wie eine vom Wind aufs Meer gezeichnete Linie oder der lustvolle, flüchtige Wirbel einer Welle“. So steht es in dem Tagebuch „Das graue Heft“, Plas beeindruckendem Hauptwerk, das nun, zusammen mit dem Erzählungsband „Der Untergang der Cala Galiota“ und „Enge Straße“, dem Gesellschaftspanorama seiner Heimatstadt, in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Pla schrieb „Das graue Heft“ 1918 und 1919, da war er selbst erst Anfang zwanzig und pendelte zwischen Palafrugell nahe der Küste und Barcelona, wo er für Tageszeitungen erste Artikel schrieb. Man mag die Jugend dieses Autors kaum glauben angesichts dieser wunderbar klugen, gewitzten Betrachtungen und einem reifen, so poetischen wie unprätentiösen Stil. Pla schrieb mit wohlwollender Distanz über seine Eltern und die weit verzweigte Familie und mit schwärmerischer Liebe über die karge Landschaft seiner Region; er schrieb verwundert über die Wirkung von verspeisten Sardinen, in knappen Einschüben über den zu Ende gehenden Weltkrieg und mit erstaunlicher Ironie über sich und das Schreiben und seine Neigung zum Nichtstun.

Das Meer – „ich gehe fast immer am Rand des Meeres entlang“ – ist dabei nicht nur Plas Lieblingssujet, wie geschaffen für eben jenen „diabolischen“, weil nie endenden Schreibdrang, sondern auch eine Art Wahrnehmungsschule, durch die der „Mensch des Meeres“ eine bestimmte innere Verfassung „den Dingen gegenüber annimmt“. Erst verzweifelt ob des Ausgeliefertseins, entwickelt er bald eine „krankhafte Sehnsucht“, um schließlich von einer „köstlichen Langeweile“ ergriffen zu werden, in der er an den kleinsten Ereignissen Geschmack findet: „Dem Regen zuzusehen, ein Feuer am Wegrand zu entzünden, die Bewegungen eines Schiffes zu verfolgen, einen Thymianhalm zu kauen.“

Die Langeweile wiederum führt zu „Unerschütterlichkeit und Gelassenheit“, nicht nur das Ideal der von Pla so gern beschriebenen Seeleute, sondern auch sein eigenes. „Ich bin dicht davor“, resümiert der junge Mann unbescheiden, als habe er sein Leben nicht vor, sondern schon fast hinter sich. Aber er hat recht, zumindest was diese Notizen angeht. Trotz Selbstzweifeln, Kritik an Kollegen und einem an einigen Stellen penetrant zur Schau gestellten Grundpessimismus – das Buch ist von unerschütterlicher Gelassenheit.

Im Nachwort erklärt der Übersetzer Eberhard Geisler, wie so viel Altersweisheit möglich war. Pla schrieb das Buch zwar in jungen Jahren, veröffentlichte es aber stark überarbeitet erst fünfzig Jahre später, als die aufregende Zeit als Zeitungskorrespondent in Paris, Rom, Berlin und Madrid vorüber, die Empörung über seine kurzzeitige Sympathie für das Franco-Regime verklungen war und er längst zurückgezogen im Haus seiner Eltern an der Costa Brava lebte. Ob seine Abneigung gegen den Roman und die sogenannte Literatur tatsächlich aus seiner Jugend stammt oder ob die Passagen erst nachträglich, gewissermaßen als Reflex auf eigene unglückliche Versuche eingefügt wurden, bleibt offen.

Er hat es versucht, mit dem Roman, zumindest hat er „Enge Straße“ aus dem Jahr 1951 so genannt. In Wahrheit besteht das Buch aus losen Anekdoten und pittoresken Geschichten, erzählt von einem jungen Tierarzt, der in dem Städtchen Torelles eine Praxis eröffnet und von der Gattin seines Vorgängers in die Gesellschaft eingeführt wird. Auch die drei „Geschichten vom Meer“ in dem Band „Der Untergang der Cala Galiota“ sind trotz wunderbarer Naturbeschreibungen eine Enttäuschung – nicht wegen ihrer fehlenden Ökonomie, sondern weil Pla nur über beschränkte Mittel verfügt, Figuren zueinander in eine dramatische Spannung zu setzen. Der Erzähler kann in wenigen Sätzen die tollsten Porträts einfacher Menschen hinwerfen, doch sobald er sich selbst ins Bild bringt, schrumpft er zum farblos stummen Danebenhocker, der die anderen entweder vorbehaltlos anschwärmt oder aus kühler Ferne beobachtet. Das Spiel aus Nähe und Distanz, das eine Geschichte zur Geschichte macht, mag ihm hier nicht gelingen. Seine „gefühlsmäßige Sterilität“ machte Pla zum großen Tagebuchkünstler – und verhinderte gleichzeitig seine Großschriftstellerwerdung, an der er selbst nie interessiert war.

Josep Pla: Das graue Heft. Aus dem Katalanischen von Eberhard Geisler. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2007. 250 S., 14,80 €

Enge Straße. Roman. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Ammann, Zürich 2007. 284 Seiten, 19,90 €

Der Ungergang der Cala Galiota
. Geschichten vom Meer. A. d. Katal. von Theres Moxser, Petra Zickmann und Angelika Maass. Berenberg, Berlin 2007. 152 S., 19,00 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false