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Literatur BETRIEB: Die große Erwartung

Gerrit Bartels bereitet sich auf einen heißen Bücherherbst vor

Dass man sich Anfang August mitten im Bücherherbst befindet, merken Literaturredaktionen, wenn sie bei Gesprächen mit den Presseabteilungen der Verlage des Öfteren gefragt werden: Und, haben Sie schon Michael Köhlmeier gelesen? Wie finden Sie Juli Zeh? Was sagen Sie zu Thomas Glavinic? Warum liegt von Ihnen noch keine Bestellung für die Bücher von Dietmar Dath und Guy Helminger vor? Was ist mit Dirk von Petersdorff? Julia Franck? Bummbummbumm macht es, und da müssen erste Stellungen bezogen werden: Ja, den machen wir groß, ganz groß! Oder: Nein, der Anfang bringt es überhaupt nicht, das kann nicht gutgehen. Oder: Gemach, gemach, wir haben doch erst August!

Allerdings gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht nur Bücher, die da noch kommen, sondern die auch schon veröffentlicht sind, gewissermaßen Frühherbstbücher, so Marcus Brauns „Armor“ oder Martin Mosebachs Novelle „Der Mond und das Mädchen“. Die Verlage verteilen ihre Veröffentlichungen zunehmend auf das ganze Jahr, also auch auf den Januar, Mai, Juli oder August. Das hat den Vorteil der größeren Aufmerksamkeit bei den „ Medienpartnern“ wie etwa im Fall von Monika Maron, deren Roman „Ach, Glück“ in fast allen Feuilletons schon groß bedacht wurde. Der Nachteil ist, dass es den Verlagen in der heißen Buchmessenzeit schwerfällt, das Interesse an den Frühherbstbüchern wachzuhalten.

In diesem Herbst macht die Programmentzerrung zusätzlich Sinn: Betriebs- und Programmanalytiker fanden nämlich heraus, dass die Verlage angeblich Verdrängungswettbewerbe unter ihren deutschsprachigen Autoren und Autorinnen inszenieren und so viele Titel wie nie gegeneinander antreten lassen. Schaut man sich das Suhrkamp-Programm an, das zwölf deutsche Namen aufweist, oder das von S. Fischer mit neun Deutschen, kann man das so sehen,

Bei genauerem Hinsehen entdeckt man aber, dass viele sich kaum ins Gehege kommen dürften: Anita Albus mit ihren Blumenporträts, Birgit Vanderbeke mit ihrer laut Verlag „raffinierten Kriminalgeschichte über die gefährliche Liaison von südfranzösischen Mythen und koreanischer Weisheit“ (urps, urps!) oder Sabine Schiffner mit einem Gedichtband, sie alle bewegen sich in den unterschiedlichsten Genres. Und auch das Publikum ist nicht dümmer als etwa die „FAZ“ erlaubt: Ein Handke oder ein Michael Krüger haben ihre überschaubare Anzahl von Fans. Ein Marcus Braun oder ein Dietmar Dath wiederum werden von Leuten gelesen, die Handke-Bücher vermutlich nicht mal mit spitzesten Fingern anrühren. Und wenn doch, umso besser.

Dass die Autorenschaft sich trotzdem sorgt, steht auf einem anderen Blatt, das gehört zu einer ausgewachsenen Schriftstellerneurose dazu. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Thomas Glavinic’ skurrilen, Ende August erscheinenden Roman „Das bin doch ich“. Dieser bringt die Neurosen auf den Punkt und auch, wie weit sich Glavinic’ Freund und Kollege Daniel Kehlmann von den durchschnittlichen Schriftstellersorgen entfernt hat.

Dass es ernst wird, konnte man auch beim Fest des Eichborn Berlin Verlags letzte Woche im LCB bemerken, einer typisch rituellen Herbstouvertüre des Betriebs. Viel war hier von den großen Erwartungen an diesen Bücherherbst die Rede („Stark wie nie!“ „So stark wie jedes Jahr!“) und von den Trends der Saisons, etwa der Naturferne der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur oder den vielen jungen, 40-jährigen Vätern, die jetzt meinen, über ihr „Schwieriges Glück“ (so ein Buchtitel) schreiben zu müssen.

An diesem Abend waren nicht nur Eichborn-Autoren zu Gast, also Jan Costin Wagner oder Larissa Böhning, sondern viele andere mit neuen Büchern, von Bruno Preisendörfer über Sarah Khan bis Björn Kern, die allesamt vorsichtig die Lage checkten. Richtig cool waren nur solche ohne aktuelles Buch. So wie Wolfgang Herrndorf, der jedoch ein anderes Problem hat: Joachim Lottmann lässt ihn ständig als Blogprosa-Figur auftreten: „Ich weiß nicht, was das soll“, so Herrndorf. Oder wie Peter O. Chotjewitz, der das Betriebsgeschnatter nach über vierzig Jahren sowieso aus dem Effeff kennt und gut gelaunt forderte: „Ein Bier für meinen Verleger!“

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