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Literatur: Preis der Leipziger Buchmesse geht an Georg Klein

Georg Klein ist mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt worden. Er erhielt die Auszeichnung auf der Buchmesse in der Kategorie Belletristik für sein Werk "Roman unserer Kindheit".

Es fällt jedes Jahr aufs Neue auf bei der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse: Geht es an die Bekanntgabe des Preises in der Belletristik, ist die Spannung am größten, nicht umsonst schließt diese die angenehm kurze Verleihungszeremonie ab. Und wird der Sieger dann bekanntgegeben, bricht immer irgendwo im Auditorium in den Glashallen der Leipziger Messe lautstark Jubel aus, was bei den Kategorien Übersetzung und Sachbuch nie der Fall ist. So auch dieses Mal wieder, als von der sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kultur, Sabine von Schorlemmer, Georg Klein und sein Roman „Roman unserer Kindheit“ aufgerufen werden: spontaner Applaus, ein paar Schreie, ein bisschen Getrampel. Daraufhin betritt ein Preisgewinner die Bühne, der eher nicht so überrascht wirkt und seine vorbereitet wirkende Dankesrede „an die lieben Romanleser- und leserinnen“ hält: „Vier Gänseblümchen aus der Wiese des Augenblicks“ halte er bereit, so der glatzköpfige Klein. Gänseblume für Gänseblume nimmt er sich vor und bedankt sich bei seiner Frau, seinen Söhnen, „die mit Wohlgefallen auf meine Arbeit blicken“, seinem Verlag und nicht zuletzt gerade bei denen seiner Figuren, „die nicht mehr unter den Lebenden weilen. Es braucht in der Dichtung immer auch die Gunst der Toten“.

Man merkt an diesen wenigen Sätzen, dass Georg Klein sich gern poetisch ausdrückt, auch ein bisschen gewunden, seine Romanwelt als eminent wichtigen Teil des eigenen Ichs betrachtend. So ist auch „Roman unserer Kindheit“ nicht einfach nur ein simpler Erinnerungsroman, kein betont kunstloser, betont naiver „Kindheitsroman“ oder „Jugendroman“, wie man ihn etwa von einem Gerhard Henschel kennt, sondern ambitioniert, allumfassend, tief in die Vergangenheit, in andere Welten zielend. Mit Figuren wie „Älterer Bruder“, „Mann ohne Gesicht“ oder „Kapitän Silber“, mit einer Geschichte, die an der Oberfläche in den sechziger Jahren in der Neubausiedlung einer süddeutschen Kleinstadt spielt und gängige Beschreibung der Zeit und der Sitten liefert; die darunter aber direkt in einen „Bärenkeller“ führt. Dieser ist Schauplatz des Finsteren, des Bösen, des Magischen, ein Labyrinth, in dem sich Kinderfantasien ausleben können. Kleins Roman ist Kindheits- und Schauerroman zugleich, genauso realistisch wie surrealistisch, genauso von den sechziger Jahren erzählend wie von einer Welt, die nur in der Fantasie von Kindern und eben dem Autor selbst existiert.

Dass Kleins Roman auserkoren wurde, ist keine Überraschung, zusammen mit Lutz Seiler und dessen schönen Erzählungenband „Die Zeitwaage“ galt Klein als Favorit. Als ein Favorit aber, der nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stand. „Die Zuspitzung auf den einen Namen bedeutet für die anderen automatisch eine Enttäuschung“, entschuldigt die Jury-Vorsitzende Verena Auffermann in ihrer Rede vor der Preisverleihung mit dem typischen Sorry-wir-können-nicht-alle-auszeichnen-Satz. Damit weist sie jedoch unfreiwillig darauf hin, dass der gesamte diesjährige Wettbewerb auf einen einzigen Namen zugespitzt war: den von Helene Hegemann. Hegemann lief gewissermaßen außer Konkurrenz. Die Jury hätte ihr den Preis nicht guten Gewissens verleihen können: Bei den vielen Zweifeln, die Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ begleiteten, nachdem der Blogger Deef Pirmasens öffentlich gemacht hatte, dass sich Hegemann etwas zu unbedenklich und ohne Angabe der Quellen bei dem Blogger Airen und seinem Roman „Strobo“ bedient hat.

Wiewohl Auffermann nicht nur darauf hinweist, dass die Jury die Plagiatsvorwürfe sehr ernst genommen und viele Gespräche mit der Hegemann-Verlegerin Siv Bublitz geführt hätte, sondern ausdrücklich die ihrer Ansicht nach großen Qualitäten von „Axolotl Roadkill“ hervorhebt, „die unterschiedlichen Schichten des Textes, die Zartheit hinter einem enormen Formenreichtum, die Verbindung von Zartheit und Verletzlichkeit, die es so nur in der Jugend gibt“.

Noch wichtiger aber dürfte der Jury gewesen sein, Schaden von Hegemann selbst abzuwenden, für die mit so einem Preis der ganze schlimme Zauber noch einmal von vorn begonnen hätte. Nun ist vielleicht erst mal gut. Oder: Endlich ist der Frühling da, wie es Messedirektor Oliver Zille in seinen Eingangsworten so richtig, so unumstößlich sagt. Nie schien die Sonne schöner in die Leipziger Messehallen wie an diesem Donnerstag. Von nun an kann man vielleicht gelassener und ruhiger analysieren, ob hinter der Debatte tatsächlich „die Angst der Bücherwelt steht, im digitalen Konfettiregen unterzugehen“, die Verena Auffermann als Urgrund der Debatte ausgemacht hat.

Und nun kann und sollte man sein Augenmerk ruhig wieder stärker auf andere Bücher richten. Auf Ulrich Raulffs Buch über den „Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“ zum Beispiel, dem Gewinner in der Kategorie Sachbuch. Darin erzählt Raulff die Geschichte des berühmten George-Kreises und seiner illustren Charaktäre, erzählt, wie Georges Einfluss erst nach seinem Tod sich richtig entfaltet. Nicht zuletzt trägt das Buch Züge des Denver-Clans: „Deutsche Geistesgeschichte als Melodram“, wie Jens Bisky in seiner Laudatio hervorhebt, und genauso eine frühe Ideen- und Themengeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis in die sechziger Jahre.

Genauso verdient und genauso wenig überraschend wie der Preis an Ulrich Raulff ist der in der Kategorie Übersetzung für Ulrich Blumenbach, der David Foster Wallace 1548 Seiten starkes Mammut- und Meisterwerk „Unendlicher Spaß“ in sechs langen, entbehrungsreichen Jahren ins Deutsche übertragen hat. Blumenbach habe, so die Jury, „deutschen Schriftstellern einen mustergültigen Werkzeugkasten für das zukünftige Erzählen an die Hand gegeben“. Das klingt gut und ist so richtig. Denkt man aber nicht zuletzt an einen anderen, genauso meisterhaften zeitgenössischen Roman, der in der Kategorie Übersetzung nominiert war, Roberto Bolanos „2666“, weist dieser schöne und richtige Jury-Satz noch auf etwas anderes hin: Bei aller Qualität Kleins und seiner vier Mitstreiter ist in der aktuellen deutschsprachigen Literatur noch viel Luft nach oben ist.

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