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Literaturpreis: Licht hinter dem Horizont

Meister der Stille: Der Österreicher Walter Kappacher erhält den Georg-Büchner-Preis.

Von Gregor Dotzauer

Um Walter Kappacher näherzukommen, empfiehlt es sich, Umwege zu nehmen. Zum Beispiel darüber, wie er sich in seinem neuesten Roman „Der Fliegenpalast“ in dem alternden Hofmannsthal spiegelt, wie dieser sich wiederum im alternden Goethe spiegelt, dessen „Propyläen“Einleitung er zitiert. „Der Jüngling, wenn Natur und Kunst ihn anziehen, glaubt mit einem lebhaften Streben, bald in das innerste Heiligtum zu dringen; der Mann bemerkt, nach langem Umherwandeln, dass er sich noch immer in den Vorhöfen befinde.“ Für Kappacher, seit vergangenem Oktober auch schon ein Mann von siebzig Jahren, taugt das nicht zum Erschrecken. Im Gegenteil. „Ein paar Sätze genügten“, lässt er Hofmannsthal denken, der es wiederum ihm zu denken erlaubt, „und er hatte festen Boden unter den Füßen“.

Das Zuverlässige ist hier der Ton, nicht die Erfahrung, die sich mit ihm verbindet. Vielleicht ist dies von Anfang an das Geheimnis von Walter Kappachers Werk. Der existenzielle Schwindel, der aus ihm spricht, wird gebannt von der Genauigkeit, mit der hier einer seiner nüchternen Liebe zu den Dingen nachgeht. Denn weit mehr als für die Beschreibung seelischer Erschütterungen, die für ihn lange gar keine Rolle spielten, interessiert er sich für alltägliche Verrichtungen und die Magie der Oberflächen.

Was immer dabei aber an Entfremdungsmelancholie zum Vorschein kommt: Unbüchner’scher als Walter Kappacher, der nun den mit 40 000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhält, kann man nicht schreiben. In der gleichmäßigen Stille seiner Prosa wohnen weder Zorn noch Verzweiflung. Der Radius seiner Figuren ist in der Regel beschränkt auf den engsten unscheinbaren Umkreis, nur der Traum von einer anderen, weiteren Sache öffnet den Horizont. Sie sind Meister der kleinen Fluchten, die, an die Ränder ihres Daseins geschmiegt, unter ihren Routinen hindurchzutauchen hoffen.

Auch Kappachers Lebensumkreis ist begrenzt. In Salzburg geboren und aufgewachsen, lebt er heute unweit davon in Obertrum, wo er am Mattsee seit sechs Jahren fast täglich das Schilf fotografiert. Anders als viele seiner Protagonisten befreite er sich aber nach und nach von seiner bürgerlichen Existenz. Der Motorradmechaniker, der er aus Begeisterung über den Rennsport gegen den Willen des Vaters geworden war, lebt nur noch in Büchern wie „Silberpfeile“ (2000) fort, einem Roman, der zu einer Fantasie über die Entwicklung der V2-Rakete im Zweiten Weltkrieg mutiert. Und der Reisekaufmann, als der er Mitte der sechziger Jahre auch eine Zeit lang in Berlin wohnte, nutzte seine Erfahrungen, um etwa in dem Roman „Der lange Brief“ (1982) die in kurze, oft protokollartige Passagen zersplitterte Angestelltenprosa seiner frühen Jahre in größere Zusammenhänge zu überführen. Aus der Trostlosigkeit einer Salzburger Pensionsversicherungsanstalt führt der Weg hier zum ersten Mal über die Grenze, in die USA und nach Australien.

Der Titel erinnert nicht von ungefähr an den „Kurzen Brief zum langen Abschied“ (1972) von Peter Handke, der nicht nur die Amerika-Faszination noch vor Gerhard Roth in die österreichische Literatur brachte, sondern auch Kappacher wie kein Zweiter förderte.

Der erste Förderer war indes Martin Walser, dem Kappacher 1967 einige Geschichten schickte, die dieser an die „Stuttgarter Zeitung“ vermittelte, wo Kappacher bald regelmäßig zu lesen war. Keiner aber hat intensiver als Handke in seiner Laudatio zum Hermann-Lenz- Preis 2004 gerühmt, wie untrennbar schmuckloser Ernst und Beiläufigkeit bei Kappacher verbunden sind. Er fühlte sich beim Lesen an eine Oper erinnert, „die fast nur aus Rezitativen besteht“. Dann aber gebe es „in jedem seiner Bücher – das rettet sie nicht nur, sondern hebt sie hoch und gibt ihnen Licht – ein, zwei Läufe oder Passagen, wo der Autor sein Innerstes ausschwingen lässt“.

Enthusiastischer kann man nicht sagen, dass Kappachers Bücher die eine oder andere gediegene Umständlichkeit enthalten, was aber auch ihren Reiz ausmacht: Das Aufatmenkönnen setzt das Verhalten des Atems voraus. Schwieriger verhält es sich mit den Erfahrungen, wie sie in der Sekretärinnen-Erzählung „Rosina“ (1978) festgehalten sind: In der heutigen Arbeitswelt lässt sich dieses willig-unwillige Hineinducken in die Abhängigkeit nur noch historisch begreifen – das gilt auch für Wilhelm Genazinos Angestellten-Romane aus den siebziger Jahren. Kappachers Kollege Walter Klier muss etwas von diesem dokumentarischen Charakter empfunden haben, als er schrieb: „Will man wissen, wie Österreich in den vergangenen Jahrzehnten wirklich funktioniert, sich angefühlt hat, liest man am besten bei Kappacher nach.“

Und doch handelt es sich um eine gewagte Behauptung. Österreichisch ist bei Kappacher etwas im allerbesten Sinne Provinzielles, das oft unter einem weltliterarischen Motto steht – bei „Rosina“ stammt es von Octavio Paz, beim „Fliegenpalast“ von T. S. Eliot. Österreichisch ist auch seine tiefe Verehrung für Adalbert Stifter und Hugo von Hofmannsthal. Aber wenn man wissen will, welches erstickende Österreich jenseits der adretten städtischen Bürokratien noch existiert, ist man mit den blutigen Kärnten-Beschwörungen des letztjährigen Büchner-Preisträgers Josef Winkler besser gerüstet.

Auch wenn Kappacher mit Hofmannsthal noch nach Bad Fusch am Großglockner fahren mag, seine Bezugspunkte liegen längst ganz auf literarischem Gebiet. In „Selina oder Das andere Leben“ (2005), einem in der Toskana angesiedelten Roman, geht es wieder um die Flucht aus dem gewohnten Leben. Mehr noch geht es um einen todkranken Mann, der sich mit Lukrez und Petrarca seiner Situation versichert.

Vor allem aber hat Kappacher als erzählerischen Schutzpatron einen Schriftsteller gefunden, dessen Eloquenz so gar nicht zu seiner eigenen Kargheit zu passen scheint. Mit dieser freien Überschreibung von Jean Pauls letztem unvollendeten Roman „Selina“, einer Untersuchung über die Unsterblichkeit der Seele, hat Kappacher seinen besten Beitrag für beständigen Nachruhm geleistet.

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