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Migration: Über das Deutschwerden

„Mein Job, meine Sprache, mein Land“: Drei Bücher über Einwanderung, Islam und Integration in Deutschland.

Für die meisten Deutschen ist der Pass ein Stück Pappe, das man an der Grenze aus der Tasche zieht. Ansonsten liegt er zu Hause in einer Schublade, nicht selten muss man suchen, wenn man ihn braucht. Für die hier lebenden Ausländer aber ist der deutsche Pass eine große Sache. Viele ringen jahrzehntelang mit sich, bevor sie ihn beantragen, nur relativ wenige wagen den Schritt. Canan Topcu, Redakteurin bei der „Frankfurter Rundschau“, hat jetzt in ihrem „Lesebuch über das Deutschwerden“ den unterschiedlichen Motivationen nachgespürt, die Türken, Kroaten, Griechen oder Afrikaner dazu gebracht haben, den deutschen Pass zu beantragen oder den alten zu behalten.

Zum Beispiel Salih Altuncicek. Er kam 1979 aus der Türkei nach Deutschland und lebt mit seiner Frau und drei Söhnen in Hessen, wo er ein Taxiunternehmen hat. Leicht fiel ihm die Entscheidung, Deutscher zu werden, nicht. Als der Beamte im türkischen Konsulat mit einer Schere den alten Pass zerschnitt, fühlte es sich an wie ein Schnitt in seine Identität. Aber nun ist er froh, Deutscher zu sein. Er fühlt sich sicherer. Obwohl er sich nie etwas habe zuschulden kommen lassen, hatte er immer Angst, ausgewiesen zu werden, weil vielleicht das Geschäft nicht gut läuft und er auf Sozialhilfe angewiesen sein könnte, schreibt Topcu. Jetzt sei sein Leben viel entspannter und er sei selbstbewusster geworden, weil er dem deutschen Staat nun nicht mehr als Bittsteller gegenübertrete, sondern als Mensch, „der auch Rechte in diesem Land hat“. Seine Frau und seine Söhne besitzen den türkischen Pass. Die Frau, weil sie am Sprachtest scheiterte. Die Söhne, weil sie keine Deutschen werden wollen. „Ich sehe keine echten Vorteile“, sagt der 19-jährige Ugur. Selbst wenn er den deutschen Pass hätte, er bliebe für die anderen „der Türke“, würde „als Mensch zweiter Klasse“ behandelt werden.

Deshalb müsse man um die Menschen werben, sagt SPD-Politiker Sebastian Edathy im Gespräch mit Topcu und fordert, dass die Bundesregierung eine Einbürgerungskampagne startet. Edathy, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, ist überzeugt, dass die Identifizierung mit dem Land überhaupt erst mit der Einbürgerung, mit der formalen Gleichstellung beginnt.

Ioanna Zacharaki kam 1981 zum Studium aus Griechenland nach Deutschland und blieb. Sie beantragte den deutschen Pass aus „Dankbarkeit“ dem deutschen Staat gegenüber, weil sie hier „viele Chancen bekommen hat“, beruflich und wirtschaftlich aufzusteigen. Sie sieht das ähnlich wie Wolfgang Bosbach, Innenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion. Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit ist für ihn eine Art Belohnung für eine „in jeder Hinsicht gelungene Integration“. Würde man Menschen vorher den deutschen Pass geben, bräuchten sie sich ja nicht mehr anzustrengen. Auch müsse, wer Deutscher wird, seine Loyalität auf Deutschland konzentrieren. Nebenloyalitäten zur alten Heimat dürfe es nicht geben. Klingt logisch, aber lebensfremd. Ioanna Zacharaki fiel der Entschluss, Deutsche zu werden, auch deshalb leicht, weil sie als EU-Bürgerin den griechischen Pass behalten darf.

Integration ist kein 100-Meter-Lauf mit klarem Start und Ziel, an dessen Ende man belohnt wird. Es ist ein Prozess, den die Einbürgerungsurkunde durchaus beschleunigen kann – wie das Schicksal von Omid Nouripour zeigt. Er wurde 1975 in Teheran geboren, kam mit 13 Jahren nach Deutschland und sitzt heute für die Grünen im Bundestag. Hätte er nicht 1993 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, wäre er nicht Politiker geworden, schreibt Nouripour in seinem Buch „Mein Job, meine Sprache, mein Land. Wie Integration gelingt“. Dann würden ihn Diskriminierungen nicht so berühren. Und er würde sich nicht so einbringen wie jetzt, da es sich um sein eigenes Land handelt, in dem vieles, wie er meint, schiefläuft. Ihn stört das ewige Gejammere und dass Integration oft mit Fragen der Terrorismusbekämpfung vermengt werde. Überhaupt werde Religion und Ethnien zu viel Bedeutung zugemessen. Nouripour möchte die Diskussion lieber „ökonomisieren“. Einwanderer sollten so schnell wie möglich eine Arbeitserlaubnis erhalten, der Zugang zum Arbeitsmarkt für Nicht-EU-Bürger sollte erleichtert werden. Wenn jemand merke, er kann wirtschaftlich aufsteigen, wenn er etwas leistet, dann wolle er auch dazugehören.

Anachronistische Verordnungen wie die, dass Deutscher sein muss, wer eine Apotheke eröffnen will, gehörten abgeschafft, fordert Nouripour zu Recht. Statt den Einwanderern zu misstrauen, sollte der Staat seine Beziehungen zu den Heimatländern nutzen, etwa zur boomenden Türkei. Oder die 280 000 Selbstständigen unter den Migranten besser qualifizieren, damit sie mehr Nachwuchs ausbilden. Schwächen weist seine Darstellung auf, wo sie unleugbare Missstände kleinredet. Dass „viele der Absolventen der Rütli-Schule ein ganz normales deutsches Leben führen werden“, wie es angeblich die Medien verschweigen, stimmt einfach nicht. Oder nur insoweit, als die Jugendlichen dieser Schule besonders gefördert werden, seitdem sie im internationalen Fokus stehen. Viele Hauptschüler in Berlin, besonders die aus Einwandererfamilien, haben jedoch miserable Chancen auf dem Arbeitsmarkt und kaum Aussicht auf ein „normales“ deutsches Leben.

Während Nouripour die Religion aus der Integrationsdebatte heraushalten will, rückt Halit Öztürk gerade diesen Zusammenhang in den Mittelpunkt. Der Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität hat für seine Studie „Wege zur Integration. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Deutschland“ zwölf Berliner Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren zu ihrer Religiosität und ihren Wertvorstellungen befragt. Das Bild, das sich ergibt, ist sehr homogen: Alle sind religiös, halten die Gebote und Verbote des Islam für wichtig, die meisten geben an, dass sie sich daran halten, selbst an die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe. Alle beschreiben, dass ihnen erst die Religion Halt und Orientierung im Leben gegeben habe. Ohne Religion wären sie ins Drogenmilieu abgerutscht und kriminell geworden, sagen einige. Der Islam habe außerdem ihren Familiensinn gestärkt, sie toleranter und ausgeglichener werden lassen und sie zu beruflich strebsamen Menschen gemacht.

Solche jungen Menschen wünschen sich alle, Wolfgang Bosbach ebenso wie Sebastian Edathy. Kein Wunder also, dass Halit Öztürk zum Ergebnis kommt, dass der Islam die Integration fördert. Allerdings sind seine Gesprächspartner nicht repräsentativ: Fünf der zwölf haben Abitur, zwei einen Realschulabschluss, fünf einen Hauptschulabschluss. Doch nur knapp zehn Prozent der Berliner Migrantenkinder besuchen ein Gymnasium, ein Drittel die Hauptschule, überproportional viele verlassen die Schule ohne Abschluss. Die Schulabbrecher wollten nicht mit ihm sprechen, schreibt Öztürk. Es gibt Studien, die sich nur auf diese chancenlosen, frustrierten und oft in Allahs Namen pöbelnden jungen Männer stürzen und zum Ergebnis kommen, der Islam behindere die Integration. Sie überzeugen genauso wenig wie Öztürks Buch, das diese Gruppe ganz ignoriert. Der Islam an sich ist wohl weder integrationsfeindlich noch integrationsfreundlich. Es kommt auf das soziale Umfeld der Jugendlichen an, ob die Familie intakt ist, ob es eine soziale und wirtschaftliche Perspektive gibt – und ob sie auf Menschen stoßen, die ihnen zuhören und sie verstehen wollen. Aber auch darauf kommt es an: ob sie selbst verstanden werden wollen.

Halit Öztürk: Wege zur Integration. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Deutschland. Transcript Verlag, Bielefeld. 279 Seiten, 28,80 Euro.

Omid Nouripour: Mein Job, meine Sprache, mein Land. Wie Integration gelingt. Herder Verlag, Freiburg. 191 Seiten, 14,90 Euro.

Canan Topcu: Einbürgerung. Lesebuch über das Deutschwerden. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main. 168 Seiten, 14,90 Euro.

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