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Politische Literatur: Fieses Klima

Kann die Welt so weitermachen wie bisher? Harald Welzers brillanter Essay über die Umweltkriege von morgen lässt daran Zweifel aufkommen.

Die Nachrichten der vergangenen Wochen zeigten den Zusammenhang zwischen dem wachsenden Hunger in den Ländern des Südens und dem Wunsch vieler Autofahrer des Nordens, ihr Fahrzeug umweltbewusster zu betanken. Ganz banal: Wo Rohstoffe für Biosprit angebaut werden, kann kein Getreide wachsen. Was auf den Feldern wächst, hängt davon ab, was sich zu den besten Preisen verkaufen lässt, und nur einem Bedürfnis kann entsprochen werden. Die zunehmend spürbare Konkurrenz um die natürlichen Ressourcen ist eines der Phänomene, das der Essener Kulturwissenschaftler Harald Welzer in seinem neuen Buch „Klimakriege“ anspricht.

Welzer hatte zuvor, gemeinsam mit einigen Kollegen, ein stärkeres Engagement der Kulturwissenschaften in der immer drängenderen Debatte um den Klimawandel gefordert und die Katastrophenblindheit der Geistes- und Sozialwissenschaften beklagt. Schließlich seien die Folgen von Katastrophen stets sozial: Nur der Mensch besitze die Fähigkeit, Veränderungen in der Umwelt wahrzunehmen – Tiere und Pflanzen würden einfach aussterben. Man dürfe die Klimafolgenforschung also nicht den Naturwissenschaftlern überlassen, die in diesen Fragen gar nicht kompetent sein könnten.

Welzer beschäftigt sich in seinem überwiegend verständlich geschriebenen Essay mit der Frage, warum wir gleichsam offenen Auges in die bevorstehende Katastrophe steuern, ohne dass uns dies schlaflose Nächte bereiten würde. Eine Erklärung dafür sei, dass sich die Verhältnisse nur schleichend veränderten: Wenn Tierarten peu à peu verschwänden, nehme man dies nicht wahr. Man wisse zwar, dass die Katastrophe bevorstehe, aber man habe keine konkrete Vorstellung von ihr. Man sei in den Industriegesellschaften zwar über die Erwärmung des Klimas informiert, spüre aber deren Folgen (noch) nicht. Weiterhin lähme die Komplexität des Phänomens – das Handeln des Einzelnen bleibe wirkungslos und zu kollektivem Handeln könne sich bislang keine der Industrienationen aufraffen.

Wie aber werden Gesellschaften des Nordens und Südens auf die unvermeidliche Katastrophe reagieren? Zur Beantwortung dieser Frage analysiert der Autor Krisensituationen vergangener Zeiten. Gerade in unübersichtlicher Lage neigten Menschen stets zu gewaltsamen Lösungen: So hätten amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg selbst Säuglinge ermordet, weil sie in ihnen potenzielle Bombenträger erblickt hätten. In Ruanda hätten sich 1994 die Hutu von der Minderheit der Tutsi bedroht gefühlt und tatsächlich geglaubt, sich zu verteidigen, als sie in wenigen Monaten Hunderttausende von ihnen töteten. Es sei durchaus nicht so, dass Menschen in solchen Situationen gerne töteten – sie sähen, so Welzer, einfach keinen anderen Ausweg. Krieg und Gewalt, nicht selten gegen die eigene Bevölkerung, seien schon jetzt häufig die Antwort auf den durch den Klimawandel verursachten Mangel an Ressourcen – Beispiel Sudan.

Gewalt, Bürgerkriege und zwischenstaatliche Konflikte seien also nur wahrscheinlich, zumal der Klimawandel die meist fragilen Staaten Afrikas am stärksten treffe. Aber auch die stabilen westlichen Staaten hätten ihre Probleme im Umgang mit schweren Krisen. Sowohl im Gefolge von Hurrikan „Katrina“ (2005) als auch bei den verheerenden Waldbränden in Griechenland im vergangenen Jahr sei es zu schlimmen Plünderungen gekommen. Das Katastrophenmanagement habe versagt, die Regierungen seien völlig überfordert gewesen. Ob Europa sich der kommenden Krise gewachsen zeigen werde, sei nicht sicher. Umso wichtiger und dringlicher sei es, zu überlegen, wie man mit den kommenden Katastrophen umgehen wolle.

Momentan reagiere Europa bestenfalls unbeholfen auf die Klimafolgen, wie sie sich in der wachsenden Zahl von Flüchtlingen an den Außengrenzen zeigten. Man nehme beim Bau der „Festung Europa“ bewusst auch den Tod vieler Menschen in Kauf, um die eigenen Gesellschaften zu „schützen“. Im Zuge der weiteren Verschlechterung der Lebensbedingungen in Afrika sei ein stärkerer Andrang von Flüchtlingen wahrscheinlich – und damit auch zunehmend gewaltsamere „Lösungen“ zu deren Abwehr. Die meisten Europäer würden auch diese Prozesse akzeptieren, so wie sie schon jetzt Überwachungsmethoden hinnähmen, die noch vor zehn Jahren entsetzt abgelehnt worden wären. Alternativen zur Abgrenzungspolitik würden nicht ernsthaft erwogen.

Welzers Fazit: Weder sei die Klimakatastrophe zu verhindern, noch gebe es überzeugende Ansätze, mit deren sozialen Folgen gerecht umzugehen. Selbst wenn die Lebensbedingungen im westlichen Europa noch längere Zeit erträglich sein werden – die „aufgeklärte“ Kultur des Westens werde an ihrer jahrhundertelangen Ausbeutung des „schwarzen Kontinents“ scheitern, möglicherweise ohne sich dessen überhaupt bewusst zu werden.

Angesichts dieser Schlussfolgerungen würde man sich fast wünschen, dass die Argumentation Welzers weniger überzeugend wäre, dass seine Analyse längst bekannter Fakten einen hysterischen Beigeschmack hätte. Aber keins von beidem trifft zu.







– Harald Welzer:
Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 335 Seiten, 19,90 Euro.

Elke Kimmel

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