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Kleist-Preis: Reden ist Goldt

Er war Kolumnist des Satire-Magazins "Titanic" und Fremdenführer in Berlin. Jetzt wurde der Schriftsteller Max Goldt mit dem renommierten Kleist-Preis ausgezeichnet und von Laudator Daniel Kehlmann geehrt.

Es wird viel gelobt an diesem schönen Sonntagvormittag im großen Saal des Berliner Ensembles. Schließlich ist Preisverleihung. Der Schriftsteller Max Goldt erhält den diesjährigen Kleist-Preis, das bringt Ansprachen mit sich. Zunächst aber tragen Schauspieler eine pointierte Handvoll Texte des 1777 geborenen Dichters Heinrich von Kleist vor, der mit Witz- und Weisheitspfeilen auf Dummheit und „Gleißnerei“ seiner Zeit zielte, bevor er sich 1811 das Leben nahm.

Anschließend liest Max Goldt, drei höchst unterhaltsame eigene Texte. Einer spielt auf dem Schöneberger Monumenten-Friedhof; das Vorhaben des Erzählers, die Grabstätte der Gebrüder Grimm zu besuchen, wird unterbrochen von einer glatzköpfigen, barbusigen Seniorin, die sich mit einem Spaten an einem Grab zu schaffen macht. Es folgen gewundene, zugleich aber pointierte Reflexionen über die Schöneberger Toleranztradition und die süddeutsche Unsitte, Schnappschüsse zu Grabsteinfotos umzuwidmen.

Goldts Texte als „Kolumnen“, „Satiren“ oder „Alltagsbeobachtungen“ zu bezeichnen, wäre ein unzulässige Verkürzung – da sind sich die Lobredner einig. Günter Blamberger, Präsident der Kleist-Gesellschaft, stellt bei Goldt die von Karl Kraus geforderte „Verantwortung vor der Sprache“ fest. Sein Ziel sei letztlich die „Trockenlegung des Phrasensumpfes“.

Weshalb Daniel Kehlmanns Laudatio erklärtermaßen von „Ernst und Analyse“ geprägt ist. Der 33-jährige Schriftsteller erhielt 2006 den Kleist -Preis, als Vertrauensmann der Jury empfahl er Max Goldt für die mit 20 000 Euro dotierte Auszeichnung. Kehlmann lobt seinen Kollegen als einen „der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart“. Goldts Texte seien „Spiegelkabinette von Eleganz, Klugheit und fein dosiertem Wahnsinn“, sie konzentrierten sich auf den Stil einer Gesellschaft, auf „ethische Minimalentscheidungen“, wie sie jeder täglich trifft. Kehlmann selbst kommt, seit er Goldts Texte liest, nicht mehr zu früh und setzt sich nicht mehr in die erste Reihe. Höflich bleiben. Den Anfängen wehren.

In seiner Preisrede bekennt Goldt sich denn auch zur Gesellschaftskritik, die aber bitte nicht mit „Regierungs- oder Systemkritik“ zu verwechseln sei. „Eine Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans auf Bahnhöfen außer Acht ließe, ist keine.“ Auf Kleists Essay-Titel „Über das Marionettentheater“ anspielend, lästert Goldt über „fremdbestimmte“ Gegenwartsautoren, die im Literatur(vermarktungs)betrieb kritiklos mitspielen. Goldt mag den alten Kleist, auch wenn er „42 Jahre ohne“ ihn war. Als Achtjähriger hat er Kleists Konterfei auf einer 80 -Pfennig-Briefmarke bewundert – und sich erst wieder mit ihm beschäftigt, nachdem Kehlmann ihm über einer dampfenden Schüssel Tofu den Preis angetragen habe.

Max Goldt, 1958 als Matthias Ernst in Göttingen geboren, zog 1977 nach Berlin, wurde als „Titanic“- Kolumnist bekannt, publizierte zahlreiche Textsammlungen, zuletzt „QQ“, und bringt seit 1996 zusammen mit dem Zeichner Stephan Katz Comicalben heraus. Kehlmann findet, Goldt habe den Preis schon allein für die Comics verdient. Katz gebühre ein Teil der Ehre.

Es gebe viele Auszeichnungen, die man als Autor besser nicht annehme, merkt Goldt noch an. Der Kleist-Preis werde aber nicht von einer Stadtmarketinggesellschaft verliehen, sondern von „einem schicken, spinnenumwobenen Traditionsgremium“. Jeder, der ihn erhalte, mache unweigerlich „ein Gesicht, als ob er gerade gut gegessen habe“. Auch Max Goldt sieht heute zufrieden aus.Jan Oberländer

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