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Russland: Alles bleibt

Die Geschichte der Eremitage in St. Petersburg: Der Direktor Michail B. Pjotrowski hat es verstanden, sein riesiges Museum durch die Fährnisse der nachsowjetischen Zeit hindurchzusteuern.

Überall in der Welt ist er zu Hause: Michail B. Pjotrowski, Direktor der Petersburger Eremitage seit 1992. Er hat es verstanden, sein riesiges Museum mit mehr als 350 Schausälen, das in seinen Depots rund 2,8 Millionen Objekte aus allen Epochen der Menschheit bewahrt, durch die Fährnisse der nachsowjetischen Zeit hindurchzusteuern und sogar auf Expansionskurs zu schicken.Rem Koolhaas entwirft den Masterplan für die Hinzunahme weiterer Gebäude am Schlossplatz, dem Herzen der einstigen Kaiserstadt.

Pjotrowski, Sohn eines 26 Jahre lang amtierenden Eremitage-Direktors und ursprünglich Orientalist, wird weltweit als gewandter Diplomat geschätzt. Internationale Konflikte weiß er elegant abzufedern: Immerhin ist die Eremitage Nutznießerin der beiden großen Beschlagnahmungsaktionen der Sowjetunion, der Verstaatlichung aller russischen Privatsammlungen nach 1918 und der „Trophäenkunst“ aus dem besiegten Deutschland 1945/46, an deren Rückgabe der Direktor ungeachtet völkerrechtlicher Verträge nicht im Traum denkt.

Stets elastisch formulierend, bleibt Pjotrowski in der Sache hart. Was immer in die Eremitage gelangt, soll dort auf ewig bleiben. Warum aber Pjotrowski diese Haltung einnimmt, wird erst aus der wechselvollen Geschichte der Eremitage deutlich. Hervorgegangen aus der Privatsammlung Zarin Katharinas – einer Prinzessin aus dem Haus Anhalt-Zerbst –, war sie zwei Jahrhunderte lang dem Winterpalast angegliedert, ehe sie 1852 mit Klenzes Neuer Eremitage einen damals hochmodernen, reinen Museumsanbau erhielt.

Seit dem Sturz des Zarenhauses ist der ganze, riesige Komplex Museum. Die Geschichte der Eremitage erzählt Marianna Butenschön in ihrem Buch „Ein Zaubertempel für die Musen“, das ungeachtet seines tourismusverdächtigen Titels eine sorgfältig recherchierte Historie bietet. Die Autorin hat zahllose Quellen ausgewertet und auszugsweise in den eigenen Text gestellt. So begreift der Leser, wie es zu jener verschworenen Gemeinschaft der „Ermitaschniki“ kam, die durch alle Wirren des Bürgerkriegs, des Stalin-Terrors, der Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg und der ewigen Unterversorgung hindurch das Museum und seine Schätze gepflegt haben.

Pjotrowski steht fest in dieser Tradition, und nach der Lektüre von Butenschöns Buch verstehen deutsche Kulturpolitiker vielleicht etwas mehr von russischer Eigenart, hier in Petersburger Prägung. „Die Staatliche Eremitage“ – konstatiert die Autorin – „streitet nicht, verhandelt nicht und entscheidet nichts. Sie stellt aus.“ Und behält, was sie einmal errungen hat. Bernhard Schulz

Marianna Butenschön: Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2008, 411 S., kartoniert 29,90 €.

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