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Schabowski: Eine entsetzliche Regierung

Zwei Bücher über Schabowskis Irrtum und Schabowskis Rechtfertigungen.

Für die ARD hatte der Historiker und Filmemacher Florian Huber eine Dokumentation über Günter Schabowskis berühmte Pressekonferenz gedreht. In seinem Buch liefert er nun die Biografie dieses Schicksalstages, montiert aus verschiedenen Perspektiven: Es kommen Beteiligte zu Wort, Funktionäre, Journalisten, Grenzwächter, Privatleute. Dabei wird Schabowski in dieser minutiösen, vielstimmigen Rekonstruktion der Ereignisse mehr und mehr zum Buhmann, der das Drama durch Bequemlichkeit und Schusselei erst möglich machte. Schabowski fehlte nicht nur im Politbüro, als das Papier mit der neuen Reiseregelung abgenickt wurde; er war auch nicht dabei, als Egon Krenz den Inhalt des Zettels dem Zentralkomitee vortrug. Und so war ausgerechnet Schabowski als Politbüro-Sprecher herzlich uninformiert, als er am Abend des 9. November 1989 die entscheidende Pressekonferenz leitete und erst auf Nachfrage jene entscheidenden zwei Worte stammelte: „Sofort. Unverzüglich!“

Unfassbar für den Leiter der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen im Innenministerium, Gerhard Lauter, der das Papier maßgeblich formuliert hatte: „Das Leben hatte uns eingeholt. Ich konnte dann nichts mehr zurücknehmen“, bekennt der ehemalige Oberst zerknirscht. Doch ob die Geschichte mit einer Frist bis zum Morgengrauen tatsächlich geordneter verlaufen wäre, kann freilich keiner beantworten.

Unvorstellbar war die rasante Entwicklung auch für alle anderen Entscheidungsträger, die sich fortan einfach tot stellten und den Dingen ihren Lauf ließen. „Wir hatten den Eindruck“, sagt der Botschaftsgesandte der Sowjetunion in Berlin, Igor Maximytschew, „dass die ganze Führung der Deutschen Demokratischen Republik wie vom Erdboden verschluckt war.“

Und am Grenzübergang Bornholmer Straße blieb ein Mann sich selbst überlassen, für den die DDR sein Leben war. Niemand half ihm in jener Nacht, keiner gab ihm noch einen Befehl oder nur einen Rat. Der Oberstleutnant der Grenztruppen, Harald Jäger, musste eigenmächtig entscheiden, und so öffnete er eine halbe Stunde vor Mitternacht die Grenze, damit es nicht zum Blutvergießen kam.

Huber zitiert seine Gesprächspartner nur ab und an wörtlich. Er schwenkt von einem Schauplatz zum anderen und gibt so die Perspektive der verschiedenen Akteure wieder. Klar wird, dass alle Alliierten völlig im Dunkeln tappten. Charles Powell, Private Secretary im Stab von Margaret Thatcher, gibt die Stimmung in der britischen Regierung wieder: „Wer wollte schon mit denen was zu tun haben? Für uns war das eine entsetzliche Regierung in einem teuflischen System.“

Horst Teltschik, der außenpolitische Berater von Helmut Kohl, weilte mit dem Bundeskanzler zum Staatsbesuch in Polen: „Die Geheimdienste hatten nicht die geringsten Hinweise. Wenn wir etwas geahnt hätten, dann wäre der Bundeskanzler nicht nach Warschau gereist.“

Vieles kommt einem bekannt vor in dieser Chronologie. Anderes findet man authentischer in bereits vorliegenden Erinnerungen des Journalisten Peter Brinkmann etwa oder in den Erzählungen von Harald Jäger, die Gerhard Haase-Hindenberg aufzeichnete. Auch die Rechtfertigungen Schabowskis – „Wir haben fast alles falsch gemacht“ – liegen nun vor, die allerdings seltsam unausgegoren und hurtig zusammengeschustert wirken. Schabowskis sogenanntes Gesprächsprotokoll ist trocken und vielfach abstrakt, der Journalist Frank Sieren nicht mehr als ein Stichwortgeber, und in der Eile (oder auch wegen Schabowskis anhaltenden Gesundheitsproblemen) sind allerlei handwerkliche und inhaltliche Fehler unterlaufen.

Florian Hubers Protokoll dagegen ist nüchtern und kühl. Übertreibungen und Sensationshascherei kommen hier nicht vor. Der Autor lässt den Ereignissen und den ausgewählten Akteuren freien Lauf.

Florian Huber: Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November. Rowohlt Berlin, Berlin 2009. 222 Seiten, 17,90 Euro.

Günter Schabowski: Wir haben fast alles falsch gemacht. Die letzten Tage der DDR. Im Gespräch mit Frank Sieren. Econ Verlag, Berlin 2009. 282 Seiten, 19,90 Euro.

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