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SCHREIB Waren: Wir bleiben anders

Steffen Richter weiß, dass der Osten noch immer nicht zu Ende erzählt ist.

"Östlich köstlich!“ steht auf aktuellen Flyern des Discounters "Plus“. Dazu ein Ampelmännchen und ein Trabi. Ist es ein Zeichen gelungener Einheit, wenn "Plus“ Ostprodukte verkauft und diese keine Spezialläden mehr brauchen? Oder deutet der ausdrückliche Hinweis auf Alt-Mecklenburger Käse oder Thüringer Pfeffersaft-Bierschinken nicht eher auf eine weiter gespaltene Kundschaft hin?

Die DDR-Erinnerungs-Industrie kommt zum Mauerfall-Jubiläum wieder in Schwung. Natürlich kann man über die ewige Selbstbespiegelung müde lächeln oder entnervt abwinken. Man kann die Sache aber auch ernst nehmen und als Gelegenheit zur Inventur der deutschen Bewusstseinslage begreifen. Denn offenbar ist unklar, wie die Bundesrepublik sich künftig denken und darstellen will – das Debakel um das Einheitsdenkmal spricht eine deutliche Sprache. Der Osten scheint noch immer nicht zu Ende erzählt zu sein. Bücher tauchen auf, von denen keiner ahnte. Zum Beispiel Wieland Försters "Der Andere“. Förster, 1930 geboren, ist eher als bildender Künstler bekannt, hat aber immer auch geschrieben. "Der Andere“, entstanden Anfang der achtziger Jahre, besteht aus Briefen, die ein "nicht recht Dazugehöriger“ aus Ostberlin an eine Bekannte nach Prag schreibt. Schon die Briefform – der Brief als Medium der Innerlichkeit – verrät viel über einen Staat, der seine Bewohner seit den siebziger Jahren in private Nischen drängte. Warum das Buch damals nicht erschienen ist, kann Förster am Donnerstag (20 Uhr) in einem ehemaligen ostdeutschen Dichter-Refugium klären: dem Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst (Hubertusweg 41, 14552 Michendorf bei Berlin).

Wo aber liegt das Verborgene des Westens? Seine "geheime Geschichte“? Die Essayistin und ehemalige Bürgerrechtlerin Daniela Dahn widmet sich mit ihrem Buch "Wehe dem Sieger!“ dem Westen und erklärt ihn zum Verlierer der Einheit. Der habe durch den Wegfall der Konkurrenz an "Halt verloren“ und ohne Korrektiv einfach weiter gemacht – munter hinein in die Krise. Was Egon Bahr als Dahns Gesprächspartner davon hält, kann man am Dienstag (20 Uhr) in der Literaturwerkstatt (Knaackstr. 97) verfolgen. Ein Konsens über das Selbstbild der Bundesrepublik scheint jedenfalls weit entfernt. Für den Herbst ist ein neues Buch von Jana Hensel angekündigt: "Achtung Zone. Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten“. Bei Plus können sie langfristig über Werbung für Ostprodukte nachdenken.

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