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Stefan Mühldorfer.: Neues Spiel, neues Unglück

Stefan Mühldorfer erzählt in seinem Debütroman von einem heißen Tag und verknüpft scheinbar unscheinbare Momente spannungsreich und atmosphärisch dicht.

Muss man nicht skeptisch sein, wenn ein Roman mit den Worten anfängt: „Ich heiße Robert Ames und bin siebenunddreißig.“ Ein solches Bekenntnis klingt schwer nach einem Werbespruch aus den Siebzigern wie: „Ich heiße Hennes Weisweiler und möchte Ihnen die neue Sprengel-Schokolade vorstellen.“ Und was heißt hier überhaupt Bekenntnis? Die Worte des Ich-Erzählers von Stefan Mühldorfers erstem Roman „Tagsüber dieses strahlende Blau“ sind weitaus schlichter als die des Kirchenlehrers Augustinus, der um 400 nach Christus mit autobiografischen „Confessiones“ eine neue Schreibtradition begründete. Augustinus erzählte unter anderem von einem Erweckungserlebnis, als ihm eine Kinderstimme einflüsterte: „Nimm und lies.“ Augustinus nahm und las die Paulusbriefe und ward ein anderer, besserer Mensch.

Aber auch auf Robert Ames wartet eine Verwandlung. Mühldorfers Roman handelt von einem einzigen heißen Tag im Leben dieses verheirateten Versicherungsmaklers mit Eigenheim und Kind. Schon abends wird nichts mehr so sein, wie es morgens war, ohne dass erkennbar Spektakuläres geschieht.Angesiedelt in der Provinz Ontario im Süden Kanadas, direkt an der Grenze zu den USA, inmitten von Vororten, Shopping Malls und Wochenendhäusern, lebt man hier mit vergangenen Liebschaften, gegenwärtigen Ehen und ungewisser Zukunft.

Die Crux der Romanfigur namens Robert Ames besteht darin, dass sich in ihrem Erzählduktus Reklame und Bekenntnis, der zum Glauben bekehrte Augustinus und der für eine Schokoladensorte werbenden Fußballlehrer Hennes Weisweiler auf ebenso komplexe wie gewitzte Weise mischen. Ames ist ein gelernter PR-Experte, der nunmehr Versicherungen verkauft. Irgendeine Stimme scheint ihm nahegelegt zu haben, ungefragt an einem Fußballspiel einer Gruppe von Halbwüchsigen teilzunehmen, was nicht ohne Folgen bleiben wird – weder für ihn noch für einen der beteiligten Jungen. Später zweifelt er an der Treue seiner Frau, und schließlich sieht er sich genötigt, sich seiner selbst zu versichern und erzählt von sich und vor allem jenem Tag, der sein Leben verändert.

Er tut das – selten genug in Romanen – ganz bewusst im Präsens, erzählt also nicht vom unvermeidlichen Ende her, sondern auf ein scheinbar vermeidbares Ende hin. Nicht die Sicherheiten, die er seinen Kunden verkauft, stehen im Mittelpunkt seiner Bekenntnisse, sondern Augenblicke, in denen alles auch anders hätte kommen können. Wie bei der morgendlichen Begegnung mit einer mittlerweile verheirateten Frau, die er auf der Highschool angeschwärmt hatte: „Wir schweigen beide. Momente wie diese können über den Fortgang eines ganzen Gesprächs entscheiden. Dann steht das Automatikgetriebe auf neutral und jeder überlegt, ob er drive (wir beide könnten uns wirklich etwas zu sagen haben) oder rear einlegen soll (bringen wir das hier zu Ende, ohne uns gegenseitig das Leben schwerzumachen).“

Es sind scheinbar unscheinbare Momente, die Mühldorfer in seinem Roman spannungsreich und atmosphärisch dicht verknüpft. Und dabei anhand einer einzelnen Figur und eines einzigen Tages die Frage aufwirft, warum Menschen gleichzeitig das Begehren nach Risiko und Sicherheit, Gewissheit und Ungewissheit um- und antreibt: „Warum trifft man einen Menschen und andere nicht? Warum gibt es dafür bestimmte Situationen? Und was ist es, das einem an diesen Situationen gewöhnlich oder ungewöhnlich vorkommen lässt? Ich weiß es nicht.“

Am Morgen steht das Kalkül, steht die Art von Unsicherheit, gegen die man sich bereitwillig versichern lässt. Am Abend ist das Unkalkulierbare die einzige Sicherheit, die bleibt, nämlich die Einwilligung in jene Kontingenz, bei der das Hoheitsrecht von Versicherungspolicen endet und das des Erzählers beginnt. Insofern handelt Mühldorfers Roman von einer höchst modernen Konversion in der westlichen Versicherungs- und Risikogesellschaft – und den damit verbundenen Gewinnen und Verlusten.

Stefan Mühldorfer - Tagsüber dieses strahlende BLau. Roman. dtv, München 2009. 240 Setien, 14,90 Euro.

Stefan Mühldorfer: Tagsüber dieses strahlende Blau. Roman. dtv, München 2009. 240 Seiten, 14,90 €.

Thomas Wegmann

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