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Streitschrift: Fröhlicher Defätismus

Michael Fleischhacker gibt Österreichs Zweiter Republik keine Chance. Mit dem Erstarken der Rechten sei die Republik gestorben, sie wisse es nur noch nicht.

Der 28. September war wahlpolitisch ein Paukenschlag. Aber er hat nicht nur in Bayern eine Ära beendet. Im benachbarten Österreich, wo am selben Tag das Parlament gewählt wurde, hat er eine Situation geschaffen, die einem politischen Offenbarungseid gefährlich nahe kommt. Das Ende des CSU-Absolutismus in Bayern bedeutet am Ende doch nur das Einmünden in die Koalitions normalität der Bundesrepublik. In Österreich jedoch hat das Anwachsen des rechten Protestpotenzials zur zweitstärksten Kraft die Verhältnisse in ein so gut wie unauflösbares Dilemma verwandelt.

Denn wenn es wieder zu einer großen Koalition kommt, ist dem Lande kaum geholfen. Diese Koalition wäre nicht die Heilung des Übels, sondern führt - weil in Wahrheit dessen Ursache - die Politik in eine Sackgasse und lässt sie am Ende "mit Vollgas gegen die Wand" fahren. Zu diesem Schluss kommt, noch ganz unter dem Eindruck des Wahldesasters, der österreichische Journalist Michael Fleischhacker. Das Urteil, mit dem der "Die Presse"-Chefredakteur auf die Lage seines Landes reagiert, geht aufs Ganze: Die zweite, nach dem Kriege gegründete Republik in unserem Nachbarland "ist tot. Sie weiß es nur noch nicht".

Die Streitschrift bezieht sich nicht nur auf das Wahlergebnis, sondern auf den Zustand der politischen Kultur der "Proporzdemokratie", und man braucht sich zur Begründung nicht auf eine politologische Definition einlassen. Es genügt Fleischhackers zorniger Blick auf ein System, "das Politik als öffentlichen Austragungsort politischer Gegensätze durch ein geheimniskrämerisches System der Kompromissbildung ersetzt". Unterfüttert mit der Vergangenheit des Landes, zumal den fortwirkenden Verhaltensmustern des Ständestaates, befinde sich Österreich nach der europäischen Wende von 1989 in einer prekären Lage zwischen der Suche nach Identität und dem Erbe einer lähmenden Sozialpartnerschaft.

Fleischhacker klammert sich an die Einführung des Mehrheitswahlrechts

In der Praxis heiße das Parteibuchwirtschaft, Reformunfähigkeit, Anfälligkeit für Korruption, vor allem aber eine mentale Deformation der politischen Klasse. Fleischhacker kann sich gar nicht genug tun mit seinem beißenden Spott: über den Kompromiss, der "schon gefunden wird, noch ehe man den Konflikt benennt", die Kunst, "besonders überzeugend Positionen aufzugeben, die man nie bezogen hat" und die Staatsdoktrin eines "fröhlichen Defätismus". Die Philippika watet knietief in den Affären der jüngeren österreichischen Politik. Nur der Umstand, dass er sie mit einer Anlehnung bei seinem Landsmann Peter Handke als "Politikerbeschimpfung" betitelt, rückt sie in die Nähe der sehr österreichischen Kunstfigur eines, wie Fleischhacker formuliert, "sprechaktlichen Befreiungsschlages".

Wo wäre ein Weg ins Freie? Fleischhacker klammert sich an die Einführung des Mehrheitswahlrechts und eine liberale Reform des Sozialstaates - das eine ein frommer Wunsch, das andere unwahrscheinlich, zumal angesichts der Wahlgeschenk-Exzesse, denen sich im Wahlkampf alle Parteien hingaben. Bezeichnenderweise erscheint Fleischhacker ausgerechnet die Koalition als Lichtblick, die der ÖVP-Kanzler Schüssel 2000 mit Haider einging . Das ist nur nachzuvollziehen in dem weiten, bis in die Monarchie zurückreichenden Sympathie- und Antipathie-Feld der österreichischen Politik und der sie tragenden Politiker, für die Haiders Aufstieg den spektakulären Indikator darstellt. Fleischhacker schätzt an Schüssel auch nur, dass er seine Sehnsucht imitiert: den Ausbruch aus der Konkordanz-Politik. Er habe zum ersten Mal das demokratische Grundversprechen eines Regierungswechsels eingelöst.

Übrigens: Österreich geht es gut - zwei Prozent Wirtschaftswachstum, vier Prozent Arbeitslosigkeit. Aber wie gut ist die Lage eines Landes, dessen Politik ein so beklemmendes Bild bietet? Zumal nicht auszuschließen ist, dass das österreichische Dilemma nicht nur ein österreichisches ist, sondern mit dem Zwang zu immer kleiner werdenden großen Koalitionen Systemkrisen vorspielt, die auch auf andere Länder warten.

Michael Fleisch hacker: Politiker beschimpfung. Das Ende der 2. Republik. Ecowin, Salzburg 2008. 176 Seiten, 22 Euro.

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