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Titan: Cicero: Jäger, gejagt

Robert Harris’ Cicero-Thriller „Titan“ ist ein Lehrstück über die Korrumpierbarkeit der Macht. Das Stück bezieht den Großteil seiner Spannung aus der Verkettung der Ereignisse sowie aus der Ahnung, dass Cicero als Emporkömmling, den weder Abstammung noch Geld an die einflussreichen Kreise in Rom binden, viel schwächer ist als seine Gegner.

Er ist der wichtigste Staatsmann seiner Zeit. „Vater des Vaterlandes“ nennen die Römer Cicero, weil er ihnen das Regime einer populistischen Aristokratenclique erspart hat. Aber dann macht Cicero einen Fehler. Er lässt sich verleugnen. Sein Schüler Clodius ist nach einer peinlichen Sexaffäre, in die sich der Lebemann verwickelt hat, zum Haus seines Mentors geeilt, um sich seine Strafe abzuholen; „dann habe ich das wenigstens hinter mir“, stöhnt er. Cicero aber will Clodius nicht sprechen und schleicht durch eine Geheimtür davon.

Die Episode geht beinahe unter in den 540 Seiten, die Robert Harris für den zweiten Teils seiner Cicero-Trilogie benötigt. Nach all dem Aufwühlenden ist die Entscheidung, einen adeligen Tunichtgut nicht sprechen zu wollen, ja auch wirklich eine Lappalie. Und doch leitet sie den Niedergang des bedeutenden Politikers ein, der bis dahin stets mit jedem geredet hatte, um sich in dem ausbalancierten System politischer Machtzentren wie ein Fisch zu bewegen. Weisheit, und sei sie auch antik, sagt uns dieser Roman, ist eine Kommunikationstechnik.

In „Imperium“ hatte Harris 2006 den Aufstieg Ciceros vom geschickten Anwalt, der sich als Korruptionsjäger hervortut, zum Sieger über Catilina bei den Konsulwahlen geschildert. „Titan“ beginnt mit dem Amtsantritt Ciceros als Konsul. Aus der Perspektive von Ciceros Privatsekretär und Leibsklave Tiro wird ein packender Senatsthriller erzählt, der sich wie eine Anleitung zur politischen Intrige liest. Als ehemaliger BBC-Reporter und langjähriger Kolumnist bei britischen Zeitungen weiß Harris, wovon er redet: „Vor der Tür eines Staatsmannes stellen sich die Probleme nicht in Reih und Glied an und warten darauf, nacheinander abgearbeitet zu werden“, lässt er sein Alter Ego Tiro gegen die Historiker wettern.

So bezieht „Titan“ einen Großteil seiner Spannung aus der Verkettung der Ereignisse sowie aus der Ahnung, dass Cicero als Emporkömmling, den weder Abstammung noch Geld an die einflussreichen Kreise in Rom binden, viel schwächer ist als seine Gegner. Aber Cicero legt, wie Harris herausstellt, „die Tapferkeit des ängstlichen Mannes“ an den Tag.

Als er von der Verschwörung des Senatskollegen Catilina erfährt, aber im Parlament mehrfach mit seinen Warnungen scheitert, hilft er ein bisschen nach und steht als strahlender Retter der Republik da. Deutlich ist Cicero hier gegen die Einschätzung von Historikern wie Theodor Mommsen konturiert, der Cicero als „Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht“ und „kurzsichtigen Egoisten“ dargestellt hatte. Harris hält ihn für einen blitzgescheiten Realpolitiker. Es sind Ciceros Schwächen, die „Titan“ zum Lehrstück über die Korrumpierbarkeit öffentlicher Würdenträger machen. Kai Müller

Robert Harris: Titan. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne Verlag, München 2009, 544 Seiten, 21,95 €

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