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Urs Widmer: Der Odysseus von Zürich

Dem fabulösen Autor Urs Widmer zum 70.

Ein wilder Geselle, denkt, wer ihn nur von Fotos kennt. Kohleaugen, schwarzer Schnauzbart und eine furios abstehende Krisselwuscheldrahthaarbedeckung des Kopfes, die mit der Zeit lichter, aber nicht frisierter geworden ist. Tatsächlich passt Urs Widmer, der heute 70 wird, in keinen Fassonschnitt. Auch taugt er so wunderbar überhaupt nicht zum Repräsentanten und Dichterfürsten, obwohl er seit Max Frischs und Friedrich Dürrenmatts Ableben der ungekrönte republikanische König der Schweizer Literatur ist. Doch das Wilde gereicht ihm nur zum Schein.

Im schönen, wahren Widmer-Sein ist er als sanfter Anti-Bourgeois ein hochgebildeter Citoyen, links, liberal und von einer so humorvollen Herzlichkeit und für Freunde auch Verlässlichkeit, die ihn ganz außerordentlich erscheinen lässt im oft verbissenen, neidhammeligen Literaturbetrieb. Und das Gute merkt man auch seinen Romanen, Erzählungen, Stücken an, ohne dass sie aus Güte literarisch schlechter würden. Auch das ist rar.

Eigentlich sind alle seine Geschichten Liebesgeschichten und Fabeln vom Unterwegssein, moderne Odysseen, voller Zauber selbst dort, wo die Realität, die Politik, der (Liebes-)Krieg seine Figuren versehrt und zu Trauerfällen macht – die in aller Untröstlichkeit doch nie trostlos geraten. Wenn es heute noch einen utopischen Schriftsteller gibt, der dennoch kein blinder Träumer ist, dann heißt er Urs Widmer, wohnhaft in Zürich, fünf Minuten vom alten Schauspielhaus.

Nach dem Literaturstudium in Paris und seiner Geburtsstadt Basel ging er für zwei Jahrzehnte nach Frankfurt am Main, war dort Lektor bei Suhrkamp und Mitbegründer des Verlags der Autoren. Für die Bühne hat er seit den 70er Jahren die Filmkomiker Stan und Ollie nach Deutschland gebracht, hat früh schon und fabulös die Börsen- und Brokerwelt beschrieben und das erste Stück über arbeitslose Manager erfunden: „Top Dogs“, ein Welterfolg.

Widmers Vermutung, aus der Novelle „Das Paradies des Vergessens“: „Phantasie sei ein besonders gutes Gedächtnis für das Wirkliche“. Vor einigen Jahren war sein „Geliebter der Mutter“ ein Bestseller, und mein Lieblingsbuch unter vielen U.W.-Wunderbüchern ist der von Frankfurt bis Südamerika spukende Liebesreisekrimi „Die gestohlene Schöpfung“, dessen poetische Bildkräfte mindestens nach einer Wim-Wenders-Verfilmung rufen. Jetzt gibt es zum Siebzigsten ein wundersam illustriertes Widmer-Buch: „Valentin Lustigs Pilgerreise“, und der Maler Lustig heißt wirklich so (bei Diogenes, 24, 90 €). Bitte, weiter so! 

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