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Verbrecher JAGD: Arme Fixer, böse Russen

Kolja Mensing entdeckt den wilden Osten von Finnland

Im Kalten Krieg war Finnland ein Knotenpunkt im Netz der internationalen Geheimdienste. John Le Carré arrangierte darum in seinen Spionagethrillern gerne konspirative Treffen in der Flughafenbar von Helsinki und schleuste seine Agenten über den blockfreien Staat in die Sowjetunion ein. Seitdem hat sich die Welt verändert, und die finnische Kriminalliteratur sucht ihre Vorbilder nicht mehr in britischen Klassikerausgaben.

Der Superstar Ilkka Remes zum Beispiel hält sich lieber an Tom Clancy, wenn er sein Heimatland in aufgepumpten Bestsellern wie „Das Hiroshima-Tor“ oder „Höllensturz“ zur Drehscheibe des internationalen Terrorismus macht und Plutoniumschmuggler über die Taiga hetzt. Darüber hinaus gibt es natürlich eine ganze Reihe finnischer Autoren, die sich um einen realistischeren Blick auf die Konsequenzen der neuen geopolitische Lage bemühen. In den Krimis von Taavi Soininvaara und Jarkko Sipilä, Leena Lehtolainen und Matti Y. Joensuu geht es immer wieder um das dreckige Geschäft mit den harten Drogen, die über die finnisch-russische Grenze nach Europa kommen. Das sind alles recht anständige Bücher, denen man unbesorgt das skandinavische Gütesiegel für sympathisches Polizeipersonal und gesunden Menschenverstand verleihen kann.

Mein Favorit unter den Finnen ist allerdings Matti Rönkä, Jahrgang 1959. Ausgangspunkt seiner Romane ist Karelien, ein Landstrich im Osten Finnlands, der während des Zweiten Weltkriegs größtenteils an die Sowjetunion gefallen war. Nach dem Ende der UdSSR siedelten zahlreiche finnischstämmige Bewohner Kareliens in ihre alte Heimat über. Auch Viktor Kärppä hat sein Elternhaus in Sortavala verlassen, um sich in Finnland eine neue Existenz aufzubauen. In Rönkäs Debüt „Der Grenzgänger“ unterhielt er in Helsinki ein kleines Ermittlungsbüro. Jetzt ist der Nachfolgeband „Bruderland“ erschienen (Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara. Grafit Verlag, Dortmund 2008. 222 S., 17,90 €), für den Matti Rönkä seine Hauptfigur kurzerhand vom Privatdetektiv zum Kleinkriminellen degradiert hat. Der neue Viktor Kärppä ist der Prototyp eines umtriebigen Migranten mit profunden Kenntnissen der grenzübergreifenden Schattenökonomie,

Kurz gesagt: Viktor ist ein Hehler. Und um seine Geschäfte am Laufen zu halten, füttert er die Polizei gelegentlich mit Hinweisen. Die Rechnung geht leider nicht auf. Als die Straßen Helsinkis mit einem neuen synthetischen Rauschgift überspült werden, nehmen sich die Ermittler als Erstes ihren kleinen Spitzel vor. Der „Halbrusse“ möge doch bitte schön seine glänzenden Kontakte zum organisierten Verbrechen spielen lassen. Kurz darauf meldet sich die Petersburger Mafia, die sich ebenfalls für die „ungesunde Konkurrenz“ auf dem finnischen Drogenmarkt interessiert. Viktor bekommt den Auftrag, die Angelegenheit zu klären. Ansonsten sehe man sich leider gezwungen, ihn zu töten. Und zwar so, dass er „merkt, wie er stirbt“.

Matti Rönkä nimmt alles mit: Gangsterjargon und Russenklischees, arme Fixer, ausgebrannte Polizisten und rumänische Killer. Er bemüht sich jedoch gar nicht erst, aus diesen Pulp-Fiction-Versatzstücken eine plausible Handlung zusammenzusetzen. Stattdessen widmet er sich lieber der Mikroökonomie des kleinen Grenzverkehrs. Während Viktor Kärppä versucht, sich die Mafia und die Drogenfahndung vom Hals zu halten, besorgt er schnell noch gefälschte Papiere für ein paar Landsleute aus Karelien und vermittelt sie gegen Provision als Handlanger auf die Baustellen in Helsinki, er verkauft an Autobahnraststätten Zigaretten ohne Steuerbanderole und betreibt im Internet einen schwunghaften Handel mit schrottreifen Wolgas aus der Sowjetzeit, um gleichzeitig für seine Kumpels gestohlene Audis inklusive elektronischer Wegfahrsperre nach Russland zu überführen. Und er kommt immer damit durch.

Mich hat das überzeugt: So begeistert wie Matti Rönkä hat schon lange niemand mehr über die Welt der Schieber, Schmuggler und Schwarzhändler geschrieben. Wer nach diesem Buch immer noch glaubt, dass man sein Geld auch auf ehrliche Art und Weise verdienen kann, dem ist nicht zu helfen. Zeit, sich auf den Weg nach Osten zu machen. Die Finnen sind schon da.

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