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Verbrecherjagd: Zeit der Reife

Kolja Mensing ist zu Gast bei den Königinnen des Kriminalromans

Ein kurzer Blick zurück. Vor einem Jahr erschien Tana Frenchs solides Debüt, ein in Irland angesiedelter 600-Seiten-pageturner mit dem Titel „Grabesgrün“. Die Handlung: In Knocknaree bei Dublin wird an einem Waldrand die Leiche eines Mädchens gefunden. Detective Rob Ryan wird auf den Fall angesetzt, aber er verschweigt seinen Vorgesetzten, dass fünfundzwanzig Jahre zuvor am gleichen Ort zwei seiner Freunde zum Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sind. Damals war er noch ein Kind, und die traumatischen Erinnerungen an diese Zeit hat er seitdem konsequent verdrängt. Als er jetzt erneut mit den Ereignissen konfrontiert wird, setzt er diesen Selbstbetrug konsequent fort. Er gefährdet damit nicht nur die Ermittlungen, sondern setzt auch das Leben seiner Partnerin und engen Freundin Cassie Maddox aufs Spiel.

„Totengleich“ heißt jetzt der neue Roman von Tana French, und er schließt direkt an seinen Vorgänger an (Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz Verlag, Frankfurt/Main 2009. 780 S., 16,95 €). „Einige Fälle sind heimtückisch und unheilbar, verschlingen alles, was mit ihnen in Berührung kommt“, erklärt Detective Cassie Maddox gleich zu Beginn, und wer „Grabesgrün“ gelesen hat, weiß natürlich sofort, wovon sie redet. Die junge Polizistin hat nach der Katastrophe in Knocknaree die Abteilung gewechselt und mit Rob Ryan nie wieder ein Wort gewechselt. Eines Morgens wird sie dann einen Tatort gerufen. Die Studentin Alexandra Madison ist in einem verfallenen Cottage erstochen worden – und die Tote sieht Cassie Maddox auffällig ähnlich: „Das war ich, reglos, mit Schatten wie dunkle Blutergüsse unter den Augen.“ Es ist ein Zufall, dass die beiden Frauen sich gleichen, und Cassie lässt sich von einem skrupellosen Vorgesetzten zu einem riskanten Undercover-Einsatz überreden: Der Mord soll in der Presse vorerst zu einem Mordversuch gemacht werden, um der Polizistin die Möglichkeit zu geben, in das Leben des Opfers zu schlüpfen und so dem Täter auf die Spur zu kommen.

Alexandra, genannt Lexie, hat zusammen mit vier anderen Studenten in einem alten Haus auf dem Land gelebt. Cassie gelingt es tatsächlich, sich in die Gruppe einzuschmuggeln, und sie ist vom ersten Moment an von den engen Bindungen innerhalb der kleinen Gemeinschaft überwältigt. „Es war wie ein Schimmern in der Luft zwischen ihnen ... Rafe, der Abby ihre Zigaretten reichte, noch fast bevor sie danach suchte, Daniel, der sich mit ausgestreckten Händen umdrehte, um den Steakteller genau in der Sekunde entgegenzunehmen, wenn Justin damit durch die Tür hereinkam, Sätze, die sie sich gegenseitig zuwarfen wie Spielkarten.“ Erinnerungen werden wach, verführerisch und gefährlich: „Es war wie bei Rob und mir: nahtlos“, stellt Cassie fest, und obwohl bereits klar ist, dass einer der Mitbewohner den Mord an Lexie begangen haben muss, wechselt sie schließlich die Seiten. Sie verwischt Spuren, um Lexies Freunde gegenüber der Polizei zu beschützen, und unterschlägt selbst dann noch Beweisstücke, als sie der Wahrheit bereits bedrohlich nahe ist.

„Totengleich“ ist ein Kriminalroman, der mehr noch als „Grabesgrün“ vom grenzenlosen Einfühlungsvermögen seiner Autorin lebt. 800 Seiten verwendet die in Irland lebende Amerikanerin Tana French darauf, nach und nach die seelischen Abgründe der Polizistin offenzulegen – und gleichzeitig das zunehmend bedrohlicher wirkende Geflecht einer Gruppe von jungen Menschen zu entwirren, von denen offenbar mindestens einer bereit gewesen, einen Mord zu begehen.

Es nicht das erste Mal, dass detective novel und detaillierter psychologischer Realismus in der anglo-amerikanischen Kriminalliteratur aufeinandertreffen. Autorinnen wie Minette Walters und Elizabeth George, Val McDermid und Ruth Rendell alias Barbara Vine haben in den letzten zwanzig Jahren die Maßstäbe in diesem bestsellerverdächtigen Subgenre gesetzt und werden von ihren Fans als Krimiköniginnen verehrt. Die Erbfolge ist gesichert: Tana French, Jahrgang 1973, ist viel jünger als ihre Kolleginnnen, aber spätestens mit ihrem zweiten Roman hat sie Anspruch auf einen Platz am Tisch der Königinnen angemeldet.

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