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Literatur: Verraten und verkauft

Wie sich das Werk von George Grosz in alle Welt verstreute

Im Februar 1938 kam es in Amsterdam zu einer beschämenden Auktion. Der Nachlass Alfred Flechtheims werde versteigert, hieß es. Flechtheim war einer der bedeutendsten Kunsthändler in der Weimarer Republik. Er machte die Arbeiten von Picasso, Munch, Degas bekannt. Und er war der Förderer von George Grosz, dem Satiriker und Gesellschaftskritiker.

Flechtheim war schon vor dem Machtantritt der Nazis zur Zielscheibe antisemitischer Propaganda geworden. Seine Galerien in Düsseldorf und Berlin wurden 1933 von Gefolgsleuten Hitlers übernommen. Flechtheim floh nach Paris und London, die meisten Kunstwerke waren für ihn verloren. Als er im März 1937 in London starb, war er einsam und verarmt.

Ein knappes Jahr später tauchten plötzlich in Amsterdam auf einer Auktion einige von Flechtheims Kunstwerken wieder auf, darunter 24 Gemälde von George Grosz, ein wesentlicher Teil seines Oeuvres aus den Berliner Jahren. Karel van Lier, ein niederländischer Kunsthändler, scherte sich nicht um Recht und Moral und wandte sich nicht an die Erben. Dabei fungierte er als Einlieferer und Käufer zugleich. Die anwesenden Profis müssen sich einig gewesen sein. Denn 16 Gemälde fielen bei der Auktion zunächst durch. Niemand gab ein Gebot ab. Die Fachleute wussten, auf diese Art könnte man die Kunst nach der Auktion noch billiger erwerben. Die Händler hatten sich offenbar abgesprochen.

Nach der Auktion wurden die Gemälde zu Konvoluten zusammengefasst. Ein ungewöhnliches Vorgehen: wichtige Bilder von Grosz, große Ölgemälde aus den zwanziger Jahren, zu einer Nummer zusammengefasst. Drei Titel in einem Konvolut: Stückpreis drei Dollar.

Grosz war Anfang 1933 vor dem Zugriff durch die Nazis in die USA ausgewandert. In seiner Wahlheimat machte er 20 Jahre später eine schmerzliche Entdeckung. „Modern Museum stellte ein mir gestohlenes Bild aus“, berichtete Grosz seinem Schwager im Januar 1953 aus New York, „bin machtlos dagegen, sie haben’s von jemand gekauft, der’s gestohlen.“ Das „Bildnis Max Herrmann-Neiße“ von 1927 ist heute noch im MoMA zu sehen. Grosz konnte seinerzeit nichts machen, er hatte alle Unterlagen über seinen Besitz in Europa zurücklassen müssen.

Aufgedeckt hat diese Zusammenhänge nun Ralph Jentsch, der Nachlassverwalter von George Grosz. Seit rund 19 Jahren ist der ehemalige Galerist damit beschäftigt, einen Werkkatalog zusammenzustellen. Damit wären endlich die Werke von Grosz, ihre Entstehung, Herkunft und deren Verbleib eindeutig benannt. Jentschs Suche nach dem verstreuten und teilweise verschollenen Werk verläuft kreuz und quer durch die Welt. Die verramschten (und unterschlagenen) Gemälde aus jener Amsterdamer Auktion gelangten nach 1945 in angesehenen Museumsbesitz. In New York und New Haven, USA, befinden sich Gemälde, in London, Wien, Tokio und auch in der Bremer Kunsthalle. Gemeint sind die Gemälde „Pompe funèbre“ von 1925 und „Stilleben mit Okarina und Muschel“ von 1931. Beide Kunstwerke wurden in den siebziger Jahren aus Mitteln der Hansestadt erworben. Die Erben von George Grosz aber beanspruchen die Bilder nun für sich. 2003 stellte Ralph Jentsch im Auftrag der Grosz-Erben einen Restitutionsantrag an alle ausfindig gemachten Museen. Geschehen ist bis heute nichts. Die Museen weisen den Antrag auf Rückgabe als gegenstandslos zurück. Die Ansprüche sind verjährt, das macht das Ganze letztlich zu einer Frage der Moral.

Mit seinem Buch hat Jentsch nun einen weiteren Trumpf in der Hand. Es ist ein Krimi der besonderen Art, umfangreich recherchiert, klar und anschaulich verfasst, reichhaltig mit Zitaten und Dokumenten belegt. Und Jentsch hat noch einen Traum. Er (beziehungsweise die Erben) möchten rückerstattete Gemälde anschließend nicht etwa verkaufen. Es soll endlich ein Grosz-Museum verwirklicht werden, vielleicht in Berlin, vielleicht aber auch in Italien oder in den USA. Es ist ein Pokern um die besten Bedingungen. Auch mit dem Berliner Senat steht Jentsch in Verhandlungen.

Ralph Jentsch: Alfred Flechtheim und George Grosz. Zwei deutsche Schicksale. Weidle Verlag, Bonn 2008. 175 Seiten, 23 €.

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