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Zeit SCHRIFTEN: Gerecht in Gaza

Als Matthias Claudius 1779 sein „Kriegslied“ sang, war es keine politische Analyse des Bayerischen Erbfolgekrieges. Es war ein Entsetzensschrei: „’s ist Krieg!

Von Gregor Dotzauer

Als Matthias Claudius 1779 sein „Kriegslied“ sang, war es keine politische Analyse des Bayerischen Erbfolgekrieges. Es war ein Entsetzensschrei: „’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, / Und rede Du darein! / ’s ist leider Krieg – und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein!“ Nichts daran hat seine Kraft verloren, wie auch Goyas Radierungen aus der Zeit der napoleonischen Eroberungskriege oder Francis Ford Coppolas Vietnamdrama „Apocalypse Now“ ihre Universalität behaupten. Und doch führt, damit aus der Imagination des schicksalhaften Schreckens rationales Handeln erwächst, kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Es gibt keinen Krieg, es gibt nur Kriege.

Der israelisch-arabische Unabhängigkeitskrieg von 1948 zum Beispiel unterscheidet sich aus vielen Gründen vom jüngsten Gaza-Konflikt. Eine entscheidende Differenz liegt schon in einer Entwicklung, für die auch die beiden Weltkriege stehen: Während im Ersten Weltkrieg nur 15 Prozent der Toten Zivilisten waren, wuchs ihre Zahl im Zweiten Weltkrieg auf rund 50 Prozent.

Die Opferzahlen im jüngsten Konflikt bestätigen das – nicht nur, weil die Hamas die Bevölkerung von Gaza planvoll als menschliches Schutzschild benutzte. Die Hälfte der 1200 bis 1400 ums Leben gekommenen Palästinenser waren Zivilisten. Dagegen starben nur 13 Israelis, zum Teil durch Kugeln der eigenen Truppen. „Wie kann Israel seine Opposition zu den Praktiken seiner Gegner unter Beweis stellen“, fragen daher die Philosophen Avishai Margalit und Michael Walzer in der „New York Review of Books“ vom 14. Mai (www.nybooks.com). Ihr Essay „Israel: Civilians & Combatants“ ist in seiner logischen Nüchternheit eine schneidende Abrechnung mit der militärischen Praxis eines Staates, der zivile Kollateralschäden nicht nur duldet, sondern sogar mit ihrer philosophischen Rechtfertigung sympathisiert.

Margalit, Autor der epochalen Studie „Politik der Würde“, und Walzer, Autor des Standardwerks „Gibt es einen gerechten Krieg?“ sowie Herausgeber von „Dissent“ (www.dissentmagazine.org), antworten damit auf Überlegungen von Asa Kasher, der als Philosoph die israelischen Streitkräfte berät, und Amos Yadlin, dem Kopf des militärischen Geheimdienstes. An einer Stelle ihres 2005 in der Washingtoner „SAIS Review“ erschienenen Aufsatzes „Assassination and Preventive Killing“ behaupten Kasher/Yadlin nichts anderes, als dass in einem gerechten Krieg die Sicherheit der eigenen Soldaten Vorrang vor der Sicherheit der gegnerischen Zivilbevölkerung habe.

Sie glauben, wie Margalit/Walzer zusammenfassen, dass „nur die Seite, die für eine gerechte Sache kämpft (unsere Seite) ein Recht zu kämpfen hat, während die Soldaten auf der anderen Seite überhaupt keine Rechte besitzen“.

„Civilians & Combatants“ kommt immer wieder kritisch auf eine unabdingbare Grundunterscheidung zurück, die Kasher/Yadlin aufgeben: die kategorische Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten. Erst diese Unterscheidung, so insistieren Walzer/Margalit, macht es möglich, die Dimension von Kriegen zu begrenzen. Soldaten agieren immer stellvertretend und im Bewusstsein ihres Risikos für den Rest der Bevölkerung. Weil sie andere verletzen können, müssen sie bereit sein, sich auch verletzen zu lassen.

Wenn Kasher/Yadlin meinen, dass jeder „Kombattant ein Bürger in Uniform“ sei, heben sie eine Unterscheidung auf, die Terroristen umgekehrt dadurch zu verschleiern suchen, indem sie eben keine Uniformen tragen. „Kriege zwischen Staaten sollten niemals totale Kriege zwischen Nationen oder Völkern sein.“ Es kann nicht um „Ausrottung oder ethnische Säuberung“ gehen. „Und was für Staaten gilt, gilt auch für staatenähnliche politische Körperschaften wie die Hamas oder die Hisbollah, ob sie nun terroristisch verfahren oder nicht. Das Volk, das sie vertreten oder zu vertreten behaupten, ist ein Volk wie jedes andere.“

Solche Überlegungen mögen in den politischen Wind gesprochen sein. Als Erinnerung daran, dass sich bei der Suche nach politischen Lösungen nicht Warlords mordlustiger Clans gegenüberstehen sollten, sind sie jedoch der beste Ausweis einer gerechten Sache.

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